Was ist Autismus-Spektrum?

Was ist Autismus-Spektrum?

Derzeit wird Autismus als Autismus-Spektrum-Störung bezeichnet. Damit umfasst es den gesamten Bereich der verschiedenen Varianten der Ausprägung des Autismus. Nach dem gängigen Klassifikationssystem ICD-10[1] handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die alle Lebensbereiche eines Menschen und seines nahen sozialen Umfelds betrifft. Sie ist gekennzeichnet durch „qualitative Abweichungen in den wechselseitigen sozialen Interaktionen und Kommunikationsmustern und durch ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten." Da Menschen mit Autismus Schwierigkeiten haben mit ihrer nicht-autistischen Umwelt zu interagieren und diese zu verstehen, können Veränderungen in der Umwelt sie stark erregen und höchst Angst auslösend sein. Unterschieden werden unter anderem drei Formen: der frühkindliche und atypische Autismus und das Asperger-Syndrom.

Der frühkindliche Autismus beginnt in den ersten drei Lebensjahren und prägt sich symptomatisch in den Bereichen der sozialen Kompetenz, Kommunikation und in stereotypen und beschränkten Verhaltensweisen aus. Weitere Auffälligkeiten können sich in Phobien, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und beim Schlafverhalten zeigen. Bestimmte zumeist exzessive Zwänge und Ordnungssysteme dienen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Sicherheit, Überschaubarkeit und Orientierung, welche für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar erscheinen. Selbststimulierende Verhaltensweisen, wie zum Beispiel ein starkes Zudrücken der Augen mit den Fingern, können bis zur Selbstverletzung reichen. Für Außenstehende unerklärliche Wutausbrüche können ebenso zu starken Auto- und Fremdaggressionen führen.

Die Form des atypischen Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus entweder durch ein eher späteres Alter bei Beginn des Autismus' oder wenn nicht in allen Autismus relevanten Bereichen charakteristische Auffälligkeiten auftreten beziehungsweise in anderen Bereichen solche verstärkt auftreten. Sehr häufig tritt atypischer Autismus bei einer schweren Form einer geistigen Beeinträchtigung auf, die zumeist verbunden ist mit einer rezeptiven Störung der Sprachentwicklung.

Mit dem sogenannten Asperger-Autismus geht für gewöhnlich keine Verzögerung in der kognitiven und sprachlichen Entwicklung einher. Vielmehr ist eine veränderte Entwicklung in der Psychomotorik sowie in der sozialen Interaktion mit der Umwelt auffällig.

Das Verhalten eines Kindes mit Autismus-Spektrum ist generell gekennzeichnet durch wenig Mimik und Gestik. Ebenso verstehen sie nonverbale aber auch zumeist verbale Kommunikationsweisen ihres Gegenübers nicht und können dem keine Bedeutung beimessen. Sie wirken vollkommen in sich gekehrt und nach außen abgeschlossen. Das Spielen eines Kindes mit Autismus-Spektrum zeigt sich in ungewöhnlicher Weise, nicht dem Gegenstand funktions- und intentionsgerecht, zum Beispiel Drehen von Rädern an Spielzeugautos, Rieseln von Sand, Wedeln mit Fäden, unablässiges Öffnen und Schließen von Türen, An- und Ausschalten von Lichtschaltern etc. Somit ist das gemeinsame Spielen mit anderen Kindern stark erschwert bis gar nicht möglich.

Besonders macht das Autismus-Spektrum seine von Kind zu Kind und von Mensch zu Mensch sehr stark unterschiedliche individuelle Ausprägung. Das betrifft auch die intellektuelle Begabung autistischer Kinder. Sowohl starke Lernschwierigkeiten, durchschnittliche Intelligenz, als auch Hochbegabung sind mit Autismus möglich. Häufig fallen Kinder mit Autismus-Spektrum durch herausragende Teilleistungen in bestimmten Gebieten bspw. im Rechnen auf. So unterschiedlich die Ausprägungen eines Autismus-Spektrums sein können so vielfältig, variabel und individuell müssen pädagogische und therapeutische Ansätze auf das jeweilige Kind beziehungsweise den Erwachsenen angepasst und mit ihm und seinem nahen sozialen Bezugsumfeld gefunden werden. (vgl. Autismus Deutschland e.V.: Was ist Autismus? (o.J.)) Wodurch Autismus-Spektrum ursächlich entsteht, ist noch immer nicht ausreichend erforscht. Allerdings nehmen Diagnosen von Kindern mit Autismus in den vergangenen Jahren bis heute weiter zu. Diese Tatsache kann unter anderem mit den sich verändernden Diagnosekriterien und Klassifikationsentwicklungen zusammenhängen. (vgl. ebd.)

Die Wissenschaft geht davon aus, dass es sich um eine Entwicklungsstörung des Gehirns handelt, die durch Mutationen verschiedener Gene hervorgerufen wird. Veränderungen befinden sich vor allem im Kleinhirn (verantwortlich für die Steuerung der Motorik), Frontallappen (zuständig unter anderem für Planung, Wertebewusstsein, Motivation, Impulskontrolle, Problemlösung, Sozialisation, Sprachproduktion und Mimik), Temporallappen (zuständig unter anderem für Gehör, Sprache, Verarbeitung visueller Informationen, Gedächtnis, Lernen und der Mentalisierungstheorie „Theory of Mind") sowie im limbischen System (zuständig vor allem für die Bereiche der Verarbeitung von Emotionen, des Belohnungssystems und von sensorischen Stimuli wie Schmerz, Gerüche etc). (vgl. Lehmann (2009))

Die komplexen Störungen der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung, die mit den Veränderungen in den verschiedenen Bereichen des Gehirns einhergehen, können dazu führen, „dass autistische Menschen einen Großteil interner und externer Reize nicht verstehen, insbesondere nicht die sehr komplexen Informationen im affektiven und sozialen Bereich. Sie fühlen sich wie in einer fremden, chaotischen Welt oder wie ‚auf einem fremden Planeten'." (Autismus Deutschland e.V.: Ursachen (o.J.))

Äußern können sich die organischen Veränderungen vor allem in einer Unfähigkeit der Theory of Mind: sich in das Gegenüber empathisch einfühlen und soziale Situationen nachvollziehen und verstehen zu können. Ebenso ist häufig die sogenannte zentrale Kohärenz gestört, was sich in einer eingeschränkten Planungs- und Strukturierungsfähigkeit und in mangelnder Flexibilität äußert, sowie „eine gestörte ganzheitliche Erfassung von Objekten [...], die zum ‚Haften an Details' und zu einem eingeschränkten Verständnis des Gesamtzusammenhanges von Situationen führt." (ebd.)


[1] Dieser und die folgenden Absätze beziehen sich auf diese Quelle: vgl. WHO, DIMDI 1994 – 2012 ICD-10-GM Version 2012 Kapitel V: Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99) Entwicklungsstörungen (F80-F89), Stand: 23.09.2011: http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2012/block-f80-f89.htm (Funddatum: 02.02.2012)

Über die Autorin/den Autor
Katja Driesener schloss 2012 ihr Bachelor-Studium Heilpädagogik erfolgreich ab. Sie betreut im Rahmen der Einzelfallhilfe Kinder mit Autismus innerhalb ihrer Familien und ist als Schulhelferin tätig. Im Autismus-Bereich bildet sie sich intensiv weiter. Vor dem Studium absolvierte sie eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin.

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