Präventive Arbeit in einer Familie mit einem Kind mit Autismus, Teil 3
Vor kurzem kam es aufgrund einer Hochphase von psychischer Labilität der Mutter zu einer, sowohl für sie und den Vater als auch für das Kind, krisenhaften Situation. Erschwerend erlitt das Mädchen einen grippalen Infekt. Die Mutter war zu dieser Zeit nicht in der Lage, sich adäquat um das Kind zu kümmern und es ausreichend zu versorgen. Der Vater konnte nicht mehrere Tage am Stück in seinem Geschäft fehlen, weil kaum Vertretungskräfte vorhanden waren. Eine Ladenschließung für längere Zeit hätte zu starken finanziellen Einbußen geführt, die er für die Familie nicht hätte kompensieren können. Es mangelte offensichtlich bei allen drei Personen an verfügbaren Ressourcen.
An drei aufeinanderfolgenden Tagen besuchte ich das Mädchen und seine Mutter zu Hause über das gewöhnliche Stundenpensum hinaus und versorgte das Mädchen soweit es mir möglich war. Dadurch erfuhr die Mutter größtmögliche Entlastung und konnte sich um sich kümmern. Der Vater hatte die Möglichkeit wenigstens den Großteil des Tages im Geschäft zu arbeiten.
Das Mädchen war schon zu Beginn der Woche in einer traurigen Gemütsverfassung. Scheinbar spürte es sehr deutlich, dass bei der Mutter eine Veränderung vorging und diese kaum Nähe zu ihrem Kind zuließ. Sie weinte viel, wollte wenig laufen und umso häufiger auf den Arm genommen werden. Die meiste Zeit des Tages hatte es einen sehr traurigen Gesichtsausdruck und entsprechende Körperhaltung. In der Mitte der Woche holte ich sie von der Kita schon am frühen Nachmittag ab, weil sie sehr kraftlos, fiebrig und ausgesprochen ruhig war. Wir gingen gemeinsam zu ihr nach Hause. Dort angekommen zog ich ihr ohne ihre sonst vorhandene Anteilnahme Jacke, Regenhose und Schuhe aus und trug sie in ihr Zimmer, wo ich sie gleich in ihr Bett legte und zudeckte. Sie lag dort und sah vor sich hin. Ich legte mich zu ihr, streichelte ihr das Haar und sprach leise zu ihr. Sofort flatterten ihre Augen und fielen kurz daraufhin zu. Als sie eingeschlafen war, ging ich zur Mutter, um zu sehen, wie es ihr ging. Sie wirkte depressiv und in sich versunken. Sie weinte viel, machte sich übersteigerte Selbstvorwürfe und blieb in Selbstmitleid und Traurigkeit versunken, wobei sie immer wieder sagte, es ginge ihr gut und die offizielle Trennung von ihrem Mann wäre der richtige Schritt für sie gewesen. Dennoch wohnt und schläft er noch mit in der Wohnung und es sind deutliche Spannungen zwischen beiden zu spüren, wenn sie in einem Raum zusammen sind. Ich ging wieder ins Zimmer, wo das Mädchen schlief, hielt eine frische Windel, zu Trinken und einen Snack bereit, für den Fall, sie habe Hunger oder Durst beim Aufwachen. Zwei Stunden später wachte sie auf und krabbelte aus dem Bett. Sie weinte kurz und schien nach ihrer Mutter zu suchen. Sie verließ das Zimmer und ging zu ihr. Die Mutter streichelte ihrer Tochter kurz über den Kopf, sprach abwesend zu ihr und entfernte sich daraufhin aus dem Raum. Das Mädchen schaute hinter der Mutter her mit traurigem Blick. Ich nahm das Mädchen auf den Schoß, drückte es sanft an mich und gab ihr etwas zu Trinken. All das ließ sie zu und ich spürte, wie sich ihr Körper in meinem Arm entspannte. Sie braucht Nähe und Verlässlichkeit, gerade wenn sie selbst gesundheitlich angeschlagen ist.
Auf dem Weg zurück ins Zimmer fing sie dennoch an zu weinen, einerseits sicherlich, weil es ihr nicht gut ging, andererseits vermutlich, weil sich nicht ihre Mutter, nach der sie sich so sehr sehnte, um sie kümmern konnte. Ich kann nur ein minimaler Ersatz sein, Kontinuität und Verlässlichkeit vermitteln aber die mütterliche Geborgenheit kann ich dem Mädchen nicht ersetzen. Ich legte sie wieder ins Bett. Offensichtlich war sie noch viel zu geschwächt. Mit der Bettdecke kuschelte ich sie richtig bis zum Hals ein und streichelte sie wieder in den Schlaf. So verliefen die nächsten Tage in der Regel. Am dritten Tag, den ich bei dem Mädchen verbrachte, ging es ihr schon bedeutend besser. Ich betrat die WohWohnung als der Vater am Morgen noch dort war. Das Mädchen saß in der Küche auf seinem Schoß und aß in Form von Gefüttert werden Frühstück und genoss die gewohnten Spielchen mit dem Vater. Hin und wieder tauchte ein Lächeln in ihrem Gesicht auf, eindeutig galt ihre ganze Aufmerksamkeit dem Vater. Zwischendurch legte sie sich immer wieder gegen seine Brust und genoss die Nähe zu ihm. Als die Mutter des Kindes in die Küche kam, veränderte sich schlagartig seine Körperspannung. Er wandte sich stets an mich und besprach mit mir das weitere organisatorische Vorgehen, während er seine Frau vollkommen ignorierte und sie in die Entscheidungen das Kind betreffend überhaupt nicht miteinbezog. Sie stand in einer Ecke des Raumes sah betreten und hilflos auf die Füße und wusste selbst scheinbar nicht mit der Situation umzugehen. Ebenso hilflos deute ich auch das Verhalten des Vaters. Er scheint überfordert zu sein mit der psychischen Belastung seiner Frau und kann mit ihrer depressiven Verstimmung nicht adäquat umgehen. Er verließ recht schnell die Wohnung, vielleicht aus Eile, vielleicht auch aus Flucht vor der Spannung.
Ich widmete mich dem mittlerweile wieder erschöpften und müden Mädchen, während ich mich zugleich nach dem Befinden der Mutter erkundigte. Sie konnte sich noch immer nicht ihrer Tochter liebevoll zuwenden, schien sie kaum richtig wahrzunehmen. Das Mädchen wirkte verschwitzt, verklebt und trug noch immer die Unterbekleidung vom Vortag. Also ging ich mit ihr ins Bad, ließ Wasser in die Badewanne, zog sie aus und badete sie. Kurzzeitig schien sie das zu genießen. Sie plantschte und rutschte bäuchlings in der Wanne im Wasser hin und her. Bald aber hatte sie genug und fing laut an zu weinen. Ich nahm sie raus, trocknete sie ab und zog ihr frische Kleidung an, mit der sie wieder ins Bett gehen konnte. Ich legte sie wieder bis zum Hals eingekuschelt ins Bett, öffnete zum Lüften des Zimmers das Fenster und streichelte sie wieder in den Schlaf, woraufhin sie auch schnell einschlief.
Später am Tage legte sich auch die Mutter in ihr Bett im gleichen Zimmer. Das Mädchen spielte gerade vor sich hin, wir pusteten mit großem Interesse Seifenblasen. Sie war eindeutig schon mehr bei Kräften. Als sie ihre Mutter im Bett liegen sah, krabbelte sie dazu, klopfte auf die Decke, rutschte mit der Hand unter die Decke und schaute auch immer mal darunter. Die Mutter drehte sich mit dem Rücken zu ihr um und beachtete ihre Tochter nicht weiter. Ich hatte den starken Eindruck, das Mädchen suche Kontakt zur Mutter. Also beschloss ich, sie neben die Mutter unter die Decke zu legen. Prompt blieb sie so liegen. Ich wollte sie wieder in den Schlaf streicheln aber das wehrte sie ab, indem sie meine Hand von sich wegschob. Wenige Minuten später fielen ihr die Augen zu und sie schlief neben der Mutter ein.
- Details
- Erstellt am 14.03.2012
- Geschrieben von Katja Driesener