Beschaffenheit eines Krisendienstes als Ansprechpartner für Menschen mit Autismus
Im folgenden Kapitelabschnitt ist der Bezug hauptsächlich auf eine konkrete Quelle bezogen. Die Homepage von „Autismus-Kultur" ist ein Netzwerk von Personen, „die sich wissenschaftlich und politisch mit Autismus befassen. Darunter sind autistische und nicht-autistische Personen sowie solche, die diese Verortung für sich selbst ablehnen." (Autismus-Kultur: Ziele von Autismus-Kultur (2007))
Fabian Dehmel (2007) hat sich 2007 in einem Beitrag mit der Beschaffenheit eines Krisendienstes befasst, wie dieser aufgebaut sein muss, um als Ansprechpartner für Menschen mit Autismus in der Krise genutzt werden zu können. Im Folgenden wird dieser Artikel in Kürze und in den entsprechenden Aspekten rezensiert und auf das aktuelle Leistungsspektrum des Berliner Krisendienstes bezogen.
Noch im Jahr 2007 umfasste das Angebot des Berliner Krisendienstes kein Spezielles für Menschen mit geistiger Behinderung. Mittlerweile wird eine sogenannte „Krisenintervention bei Menschen mit geistiger Behinderung" im Hilfeangebot aufgeführt. Der Berliner Krisendienst hält ein Angebot bereit, welches sich an „geistig behinderte Menschen aller Altersgruppen, ob in speziellen Einrichtungen oder zu Hause, ihre Angehörigen, Mitbewohner und Freunde sowie ihre Betreuer in Wohneinrichtungen und Heimen" richtet und entsprechend spezialisierte Ansprechpartner bereithält. (vgl. Berliner Krisendienst: Hilfsangebot für geistig Behinderte (o.J.))
„Durch telefonische Beratung, Hausbesuche und Gespräche in der Beratungsstelle wird Menschen mit geistigen Behinderungen und ihrem persönlichen Umfeld in Krisensituationen, bei Überforderung und Eskalation individuelle Entlastung angeboten." (ebd.)
Betont wird auch, dass nach alternativen Kommunikationswegen gesucht wird, wenn die verbale Sprache nicht sinnvoll eingesetzt werden kann. (vgl. ebd.)
Dehmel kritisiert in seinem Beitrag, dass „Menschen, die in Krisen nur schriftlich kommunizieren können oder einen Ort suchen, wo sie nicht allein sind und nicht sprechen müssen" diesen Ort im Krisendienst nicht finden. (Dehmel (2007)) Nun könnte der explizite Hinweis des Krisendienstes, „Da die gewohnte verbale Kommunikation häufig beschränkt bleiben muß, werden neue Kommunikationswege gesucht und in die Interaktion einbezogen" (Berliner Krisendienst: Hilfsangebot für geistig Behinderte (o.J.)), die Interpretation zulassen, einen Ort zum gemeinsamen Schweigen in der Beratungsstelle finden zu können. Welche Formen mit alternativen Kommunikationswegen gemeint sein können, wird nicht deutlich dargestellt.
Trotz der Weiterentwicklung des Krisendienstes bleibt nach wie vor fraglich, ob und inwiefern mit diesem Angebot in dieser Form auch den Bedürfnissen von „Autist_innen in einer Krisensituation" entsprochen werden kann. So wie Dehmel (2007) in seinem Beitrag schrieb, haben Menschen mit Autismus auch heute noch „in Krisensituationen mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen, da sich vorhandene Formen der Unterstützung als schwer zugänglich oder ungeeignet erweisen." Nach wie vor stellt eine direkte Kontaktaufnahme vor Ort im Krisendienst, in der eigenen häuslichen Umgebung und per Telefon für viele Menschen mit Autismus ein Hindernis dar. Viele Menschen mit Autismus, die Lesen und Schreiben können, nehmen vermehrt mit Vorliebe sozialen Kontakt über das Internet auf, sei es in bestimmten Foren oder per Chatfunktion. Beide Optionen zur Krisenbewältigung werden im Krisendienst nicht angeboten.
Laut Dehmel kann der auch heute noch aktuelle Satz im Angebotsspektrum des Berliner Krisendienstes „Ärzte stehen – ebenfalls rund um die Uhr – in Rufbereitschaft und werden gegebenenfalls hinzugezogen." (Berliner Krisendienst: Hilfsangebot für geistig Behinderte (o.J.)) keine klare Auskunft darüber geben, inwiefern der Hilfesuchende darüber entscheiden kann. Gerade in der Krise kann der Betroffene die eigene Meinung oftmals nicht so selbstbewusst und durchsetzungsstark vertreten. Der Betroffene ist somit leichter einer ärztlichen Beratungsintervention ausgeliefert und kann eher gegen seinen Willen zu psychiatrischer und stationärer Behandlung gedrängt werden. Allerdings ist die Unterbringung in der Psychiatrie für Menschen mit Autismus eher kontraproduktiv. Sie werden aus dem vertrauten Umfeld und Routineabläufen herausgerissen und in einen neuen festen Ablauf integriert, der nicht zu ihren persönlichen Bedürfnissen passt und diese nicht berücksichtigt. Eine neue ungewohnte Umgebung ohne vertraute und bekannte Strukturen, Orientierung und Sicherheit können eine Krisensituation eher noch verstärken. Eben weil dieser Satz so unklar formuliert ist, kann das dazu führen, dass sich ein Mensch mit Autismus in der Krise eher nicht an die Hilfe des Krisendienstes wendet.
Obwohl der Beitrag von Dehmel (2007) öffentlich bei einem Treffen von Fachkräften verschiedener Einrichtungen diskutiert wurde, haben sich die vorgetragenen Kriterien, die ein Krisendienst idealerweise erfüllen könnte, wenn er sich an Menschen mit Autismus in der Krise wenden möchte, bis heute in Berlin (jedenfalls in Betrachtung der Homepage) nicht etablieren können. Dehmel zählt wesentliche Aspekte auf, von denen die wichtigsten hier in Kürze vorgestellt und anhand des bestehenden Angebotes des Berliner Krisendienstes diskutiert werden.
Der Berliner Krisendienst sollte ein Angebot zur schriftlichen Kontaktaufnahme zu jeder Zeit in Form von E-Mail oder Chat anbieten. Das Angebot, den Krisendienst aufsuchen zu können, ohne ein konkretes verbales Gespräch mit einem Berater führen zu müssen, kann insofern eventuell als erfüllt gelten, wenn der o.g. Satz der Suche nach alternativen Kommunikationsmöglichkeiten so interpretiert werden kann, dass auch ein gemeinsames Schweigen als Kommunikation betrachtet wird. Da es so klar aber nicht auf der Seite des Krisendienstes benannt wird, könnte dieser Aspekt für einen Hilfe suchenden Menschen mit Autismus in der Krise nicht deutlich genug sein.
Die Wahl, ob ein Arzt hinzugezogen wird oder nicht, sollte deutlich in der Entscheidung des Betroffenen liegen und auch ebenso klar formuliert werden. „Es sollte eine Garantie geben, dass keine ungewollte Heranziehung von Psychiater_innen erfolgt." Das ist bisher nicht der Fall auf der Homepage des Dienstes. Nicht nur für Menschen mit Autismus ist der folgende zitierte Aspekt von großer Bedeutung. Auch für Menschen mit geistiger Behinderung würde eine transparente Darstellung des Dienstes im Internet von Interesse sein. „Es kann für autistische Menschen schwierig sein, sich anhand des Webauftritts vorzustellen, wie es beim Krisendienst abläuft: wie es dort aussieht und was dort passiert. Von daher wäre es sinnvoll, das Webangebot um solche Informationen (Räume, Mitarbeiter_innen und ihre Schwerpunkte, wie lange man dort bleiben und was man dort machen kann usw.) zu ergänzen." (Dehmel (2007))
Obwohl das Angebot des Berliner Krisendienstes bereits groß ist und sich bemüht, eine Vielfalt von Menschen anzusprechen, gelingt es scheinbar noch nicht ausreichend. Für Menschen mit Autismus in einer Krise ist das Angebot nicht entsprechend genug.
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- Erstellt am 14.03.2012
- Geschrieben von Katja Driesener