Einleitung Empowerment
Folge der Psychiatrie-Enquete von 1975 war zum einen die Entstehung einer Vielzahl von sozialpsychiatrischen und gemeindenahen Angeboten, die es den psychiatrieerfahrenen (psychisch kranken) Menschen ermöglichte, innerhalb ihrer vertrauten Umgebung und ihren Gemeinden zu verbleiben. Damit sollte der Erhalt der Sozialbeziehungen, des Gefühls der Zugehörigkeit und der damit verbundenen Selbsthilfepotentiale gesichert werden. Primäres Ziel aller gemeinde-psychiatrischen Ansätze ist daher eine Bereitstellung erforderlicher Hilfs- und Stützfunktionen für die Psychiatrieerfahrenen in ihrem alltäglichen Lebensumfeld.
Zum anderen fand aber auch ein Veränderungsprozess im psychiatrischen Denken statt. Die bis dahin weitestgehend von Kontrolle geprägte Beziehung zwischen psychiatrieerfahrenen Menschen und den professionell Tätigen entwickelte sich zu einer auf Unterstützung von Selbstorganisationskräften der Betroffenen gezielte Beziehung. Bei genauerem Betrachten bleibt jedoch festzuhalten, dass der Aspekt der Kontrolle im psychiatrischen Alltag noch immer gegenwärtig ist. Im heutigen Sinne stellt die Kontrolle vor allem eine fürsorgliche Betreuung dar, die durch ein immer stärker differenziertes Netz von Institutionen im Alltag der Betroffenen charakterisiert wird. [1]
Dem kritisch entgegen steht das in den USA entstandene Konzept des Empowerments mit seiner veränderten professionellen Grundhaltung. Dieses ist nicht nur in der Sozialpsychiatrie von Bedeutung, es findet darüber hinaus auch Anwendung in den Bereichen der Jugendhilfe und der Gesundheitsförderung. Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit wird sich jedoch auf das Fachgebiet der Sozialpsychiatrie, insbesondere der Gemeindepsychiatrie am Beispiel einer Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle, konzentriert.
Der Akzent in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik im Sinne des Empowerments liegt in der Selbstorganisation und der autonomen Lebensführung der psychiatrie-erfahrenen (psychisch kranken) Menschen. Damit verbunden ist eine Abkehr vom Defizitblickwinkel, der in der traditionellen psychosozialen Arbeit noch immer vorherrschend ist. Der psychisch kranke Mensch wird unter dem Gesichtspunkt des Empowerments als Erfahrener seiner eigenen Krankheit mit seinen eigenen vielfältigen Bewältigungskompetenzen und Selbsthilfepotentialen gesehen. Eine Stigmatisierung des Individuums als „psychisch krank" wird damit aufgehoben.
[1] (Quindel, Ralf; 2004: Zwischen Empowerment und sozialer Kontrolle. Das Selbstverständnis der Professionellen in der Sozialpsychiatrie.; Bonn (Psychiatrie-Verlag), 1. Auflage, Seite 9 f)
- Details
- Erstellt am 11.02.2005
- Geschrieben von Antje Henkel