Ostergedichte für Kinder

Eine Abschlussarbeit von Alexandra May mit dem Titel "Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung". Die Arbeit stammt vom 01.02.2007 und wurde im Rahmen des Studienganges Erwachsenenpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin verfasst. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.

Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung

0 Einführung - Erwachsenenbildung bei Menschen mit geistiger Behinderung

Im Zuge der Empowermentbewegung spielen die Bedürfnisse, Interessen und Sichtweisen von Menschen mit geistiger Behinderung eine immer größere Rolle und damit auch die Aspekte des lebenslangen Lernens und der Erwachsenenpädagogik für diesen Personenkreis. Dennoch zählen laut Georg Theunissen ¹ (2003: 149) Menschen, die als geistig schwer und mehrfach behindert gelten zu den Stiefkindern der Erwachsenenbildung bei Behinderung und sind in der Bundesrepublik noch immer eine bildungspolitische Randgruppe.

In dieser Arbeit geht es darum außerberufliche Bildungsmöglichkeiten für erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung aufzuzeigen. Ganz bewusst wird der Aspekt der beruflichen Ausbildung geistig behinderter Menschen in dieser Arbeit nicht in den Vordergrund gestellt, da dieser Bildungsbereich Menschen mit einer schweren geistigen bzw. schwerstmehrfach Behinderung meist nicht zugänglich ist. Die Frage nach der praktischen Umsetzung von Erwachsenenbildungsangeboten für Menschen mit geistiger Behinderung soll in dieser Arbeit erörtert werden. Für die Gruppe der lernbehinderten Menschen hat sich Erwachsenenbildung bereits etabliert, wie jedoch gestaltet sich die Situation für Menschen mit (schwerer) geistiger Behinderung? In dieser Arbeit wird die nachschulische Eingliederung vom Menschen mit geistiger Behinderung in das gesellschaftliche Leben im Sinne von Integration und Teilhabe durch Bildungsangebote erörtert.

¹ Professor Dr., Diplompädagoge, Ordinarius für Geistig-behindertenpädagogik am Institut für Rehabilitationspädagogik des Fachbereiches Erziehungswissenschaften an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg

0 Einleitung

Im ersten Kapitel wird als Arbeitsbasis der Begriff „geistige Behinderung" und „Empowerment" definiert. Da das Normalisierungsprinzip zur Legitimation der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung herangezogen wird folgen anschließend die Grundgedanken dieses Reformkonzeptes. In Kapitel 2 wird die geschichtliche und aktuelle Entwicklung der Erwachsenenbildung und Bildungssituation für geistig behinderten Menschen dargestellt. Die Erörterung der Möglichkeiten und Besonderheiten einer Erwachsenenbildung von Menschen mit geistiger Behinderung (Kapitel 3) erfolgt in dieser Arbeit ebenso, wie die Diskussion über das Konzept der integrativen Erwachsenenpädagogik nach Christian Lindmeier [2] in Kapitel 4. Die Aufgaben und Grenzen dieses Ansatzes werden aufgezeigt. Die Erstellung einer Planungskonzeption für einen Kursangebot für geistig behinderte Menschen schließt die Arbeit ab und untermauert die in den ersten Kapiteln dargestellten theoretischen Grundsätze der Bildungsarbeit bei Menschen mit geistiger Behinderung. Der Abschluss der Arbeit bildet die Zusammenfassung und Schlussbetrachtung.

[2] Professor Dr., Diplompädagoge, Professor für Allgemeine Sonderpädagogik am Institut für Sonderpädagogik der Universität Koblenz

1 Begriffserläuterung Geistige Behinderung

Zunächst wird der Begriff „geistige Behinderung" ³erläutert, wobei eine eindeutige und allgemein akzeptierte Definition nicht existiert. Je nach medizinischen, psychologischen, soziologische oder pädagogischen Betrachtungsweise und Handlungsabsicht unterscheidet sich das Begriffsverständnis.

So sprechen medizinisch orientierte Definitionen von einer Minderung bzw. Herabsetzung der maximal erreichbaren Intelligenz. Nach dem Internationalen Klassifikationssystem psychischer Störungen (ICD-10) der Weltgesundheits-organisation (WHO 1990) wird die Erscheinung „geistige Behinderung" als Intelligenzminderung (F70-79) bezeichnet. Demnach lässt sich, rein auf die Intelligenz bezogen, eine geistige Behinderung als Steigerung und Erweiterung der Lernbehinderung verstehen. So steht bei den medizinischen Definitionen klar die Intelligenz der Menschen als Messstab für den Grad der geistigen Behinderung im Mittelpunkt der Begriffsbestimmung. Nach Heinz Bach (1974) liegt eine „Geistige Behinderung (.) vor, wenn die seelische - geistige Gesamtsituation eines Menschen auf Dauer und trotz optimaler erzieherischer Bemühungen den Rahmen dessen nicht überschreitet, was bei einem Intelligenzquotienten unter 60± 5 zu erwarten ist..." (Schramm 1992: 125). Jedoch ist laut Heinz Bach (1974) die alleinige Betrachtung des Intelligenzquotienten kein ausreichendes Kriterium um eine geistige Behinderung festzustellen. Er ist nur insofern von Interesse, als er ungefähre Aussagen über das vorab zu erwartende Lernverhalten erlaubt. „Die geistige Behinderung äußert sich als mehr oder weniger deutliche Verminderung bzw. Einschränkung der Lernfähigkeit des betroffenen Menschen. Intellektuelle Fähigkeiten werden nicht oder nur verlangsamt ausgebildet." (Schramm 1992: 125)

Aus pädagogischer Sicht gilt nach den Empfehlungen der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates (1974: 37) als „... geistig behindert, wer infolge einer organisch-genetischen oder anderweitigen Schädigung in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so sehr beeinträchtigt ist, dass er voraussichtlich lebenslanger sozialer und pädagogischer Hilfen bedarf. Mit den kognitiven Beeinträchtigungen gehen solche der sprachlichen, sozialen, emotionalen und der motorischen einher. Eine »untere Grenze« sollte weder durch Angabe von IQ-Werten, noch durch Aussprechen einer Bildungsunfähigkeit festgelegt werden, da grundsätzlich bei allen Menschen die Möglichkeit einer Bildungsfähigkeit angenommen werden muss." Der Deutsche Bildungsrat distanziert sich somit von der Einteilung anhand der Intelligenzquotienten, dieser Ansicht schließt sich die Autorin an. Bei geistig behinderten Menschen handelt es sich um Personen, die in ihrer kognitiven Entwicklung beeinträchtigt sind, wodurch sie in unserer Gesellschaft auf vielfältige Weise in ihrer Entfaltung behindert werden und benachteiligt sind.

Als Weiterentwicklung und Anregung zum Umdenken in der Behindertenarbeit ist das neue Grundverständnis von Behinderung der WHO zu sehen, welches sich seit 1999 im Schema der ICIDH-2 [3]zeigt. Hierbei sind nicht mehr die Defizite, wie z. B. die Intelligenzminderung laut dem ICD-10, einer Person maßgeblich, sondern die persönlichen Fähigkeiten und die soziale Teilhabe. Demnach ist nicht mehr das Individuum gehandicapt, sondern vielmehr behindert die Gesellschaft den Prozess seiner persönlichen Entfaltung und das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und ein selbst bestimmtes Leben.

Für eine geistige Behinderung gibt es laut Karlheinz Schramm (1992: 127 f) eine Vielzahl von möglichen Ursachen, die meist eine Kombination von organischen Funktionsstörungen mit Einflüssen aus dem Lebensumfeld (Anregungsmangel etc.) darstellt. Bei leichten Ausprägungen handelt es sich oft um eine Entwicklungsverzögerung, die wieder ausgeglichen werden kann. Schwerere Behinderungen lassen sie sich häufig auf organisch-genetische Schäden oder prä-, peri- bzw. postnatalen Faktoren zurückführen. Oftmals jedoch lässt sich die eindeutige Ursache nicht feststellen. In den meisten Fällen sind die geistig behinderten Menschen aufgrund ihrer Gesamtentwicklung und Lernfähigkeit lebenslang auf soziale, pädagogische und teilweise auf pflegerische Hilfe angewiesen. Dennoch ist kein Mensch so schwer geistig behindert, dass er nicht im gewissen Rahmen förderfähig wäre. Jeder Mensch kann sich demnach auf lebenslanges Lernen und neue Erfahrungen einlassen.

[3] International Classification of Impairments, Activities and Participation: A Manual of Dimensions and Functioning

1.1 Begriffserläuterung Empowermentkonzept

Der Begriff Empowerment meint übersetzt „Selbst-Ermächtigung" bzw. „Selbst-Bemächtigung" und stammt aus der amerikanischen Sozialarbeit, Bürgerrechts- und Selbsthilfebewegung. Empowerment bildet in der Sozialpädagogik und psychosozialen Arbeit einen Ansatz ressourcenorientierter Intervention. Im Umfeld politischer Bildung und demokratischer Erziehung wird Empowerment als Instrument betrachtet, die Mündigkeit des Bürgers zu erhöhen. Empowerment verweist auf einen Prozess, in dem Menschen in benachteiligter Position eigene Kräfte entwickeln und soziale Ressourcen nutzen, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Ziel ist die (Wieder-)Gewinnung von Selbstbestimmung und Autonomie im Leben der Menschen zu erhöhen sowie sie in die Lage zu versetzen, ihre Belange (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortet zu vertreten und zu gestalten. Der Empowermentansatz steht für ein neues fachliches Selbstverständnis, er wendet sich gegen Bevormundung und Aussonderung. Betroffene betrachten sich als „Experten in eigener Sache" und wünschen sich deshalb keine entmündigende Betreuung, sondern fachliche Unterstützung, Kooperation sowie persönliche Assistenz. Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung als auch die professionelle Unterstützung der Menschen, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen. Für die Arbeit mit geistig behinderten Menschen bedeutet das Konzept u. a. Bildungsangebote zur Entwicklung von Selbstbestimmungs- und Mitbestimmungsfähigkeit in Bezug auf die alltägliche Lebensgestaltung. (vgl. Theunissen; Plaute 1995)

1.2 Begriffserläuterung Normalisierungsprinzip

In den 1950er Jahren wurde das Normalisierungsprinzip als zentraler Grundsatz im Umgang mit erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung entwickelt. Zunächst formulierte der Däne Bank-Mikkelsen den Begriff Normalisierung. Der Schwede Bengt Nirje arbeitete das Normalisierungsprinzip aus und strebte durch konkrete Zielsetzungen die Umsetzung in die Praxis an. In den 70er Jahren wurde es in den USA und Kanada insbesondere von dem Behindertenpädagogen und -psychologen Wolf Wolfensberger zu einer komplexen wissenschaftlichen Theorie weiterentwickelt. In Deutschland hat später Walter Thimm für die Umsetzung des Normalisierungsprinzips in der Behindertenhilfe beigetragen. (vgl. Mühl 2000: 76)

Ein Grundprinzip der Normalisierungstheorie ist das Gleichheitsprinzip, d. h. dass alle Menschen, seien sie behindert oder nicht, gleich sind und somit auch die gleichen Rechte haben. "Normalisierung hat (..) konsequent an den alltäglichen Lebensbedingungen beeinträchtigter Menschen anzusetzen (alltagsorientiert) und dabei die größtmögliche Beteiligung der Betroffenen sicherzustellen (Partizipation). Dazu ist eine Dezentralisierung (Regionalisierung, Kommunalisierung) der Hilfe notwendig." (Thimm 1994: 2). Nach dem Schweden Bengt Nirje (1994) beinhaltet ein normales Leben folgende Punkte. Ein normaler Tagesrhythmus, die Trennung von Arbeit-Freizeit-Wohnen, ein normaler Jahresrhythmus, normale Erfahrungen im Ablauf des Lebenszyklus, normalen Respekt vor dem Individuum und dessen Recht auf Selbstbestimmung, normale sexuelle Lebensmuster ihrer Kultur, normale ökonomische Lebensmuster und Rechte im Rahmen gesellschaftlicher Gegebenheiten, normale Umweltmuster und –standards innerhalb der Gemeinschaft (vgl. Thimm 1994: 19 ff). Das Normalisierungsprinzip beinhaltet die Normalisierung der alltäglichen Lebensbedingungen von Menschen mit geistiger Behinderung, d. b. jeder Mensch mit Behinderung soll an allen gesellschaftlichen Gütern, einschließlich der Weiterbildungsangebote partizipieren können.

Die Adressaten des Normalisierungsprinzips im Sinne eines Dreistufensystems sind nach Wolf Wolfensberger: die einzelne Person mit geistiger Behinderung (Mikrosystem), die Institutionen (Mesosystem) und die Gesellschaft (Makrosystem). Er unterteilt diese Adressatenkreise noch in die Handlungs-dimensionen Interaktion und Interpretation. Daraus wird deutlich, dass sich die Normalisierung nicht nur auf die Handlungen bezieht, sondern auch auf die Art und Weise, in der Menschen mit geistiger Behinderung "nach außen" dargestellt werden, d. b. wie sie der Umwelt symbolisch repräsentiert werden. Mit der Handlungsdimension der Interpretation auf den drei Systemstufen wird auf die immer noch geistig verankerten Vor- und Werturteile in der Gesellschaft aufmerksam. Wolf Wolfensberger stellt Normalisierung ausdrücklich in das Spannungsfeld gesellschaftlicher Erwartungen und individueller Erscheinungsweisen. Normalisierung vollzieht sich durch physische und soziale Integration des Individuums. Durch die Integration werden Veränderungen auf beiden Seiten möglich, die Beziehung zwischen Individualisierung und Gesellschaft sind normalisiert. (vgl. Thimm 1994: 27 ff)

2 Die geschichtliche Entwicklungen der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung bis 1970

Die Geschichte der Erwachsenenbildung von geistig behinderten Menschen ist sehr jung. Laut Georg Theunissen (2003: 11, 45) wurde die Bildungsaufgabe in Bezug auf erwachsene geistig- und lernbehinderter Menschen erst vor etwa 20 Jahren entdeckt. Die Gründe dafür findet Georg Theunissen in folgenden Aspekten: die Bildungs- und Lernfähigkeit wurde Menschen mit geistiger Behinderung lange Zeit abgesprochen, die Lebenserwartung dieser Personengruppe war früher niedriger als heute und nicht zuletzt überlebte die Mehrheit der behinderten Menschen die Zeit des Nationalsozialismus nicht und fiel der Vernichtung der Nationalsozialisten zum Opfer.

In den Nachkriegsjahren standen in der Behindertenarbeit die vorschulische und schulische Förderung und somit ausschließlich Kinder und Jugendliche (mit leichten und mittleren Behinderungen) im Vordergrund (vgl. Speck 1990: 29 ff). Menschen mit schwerer geistiger Behinderung galten in der DDR als bildungs- und förderungsunfähig und auch in der BRD wurde ihnen bis in die 70er Jahre jegliche Bildungsmöglichkeit abgesprochen (vgl. Theunissen 2003: 45).

In den 80er Jahren erwachten die Erkenntnis der Lern- und Bildungsfähigkeit erwachsener Menschen mit geistiger Behinderung und damit ein deutliches Interesse an der Bildungsarbeit mit diesem Personenkreis. Die internationalen Entwicklung in der Behindertenarbeit und die Zunahme der behinderten Menschen im Erwachsenenalter (Nachkriegsgeneration) führten in der Heilpädagogik zu einem gewissen Handlungsdruck und schließlich zu einer gezielten pädagogischen Arbeit mit diesem Personenkreis. Laut Georg Theunissen (2003: 12) haben die Normalisierungs- und Integrationsbemühungen sowie die Selbstbestimmungsdebatte der 80er Jahre entscheidend zur Entwicklung der lebenslangen Bildungsarbeit bei erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung beigetragen. In dieser Zeit gründete sich u. a. die „Gesellschaft zur Förderung der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung e. V." [5] Bildungsveranstaltungen sowie Tagungen wurden durchgeführt und die Publikationen zum Thema „Behinderung und Erwachsenenpädagogik" stiegen ab dieser Zeit deutlich an, so dass die Arbeit der neu gegründeten Gesellschaft die Professionalisierungsbestrebungen in hohem Maße vorantrieb. Weiterhin wurde durch den Aufbau der Gesellschaft die Weiterentwicklung der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung auf der Verbandsebene verstärkt. (vgl. Lindmeier; Ryffel; Skelton 2000: 130)

Ab den 70er Jahren setzte sich in der allgemeinen Erwachsenenbildung die Zielgruppenarbeit durch. Mittels dieses Weiterbildungskonzepts sollte für benachteiligte Gruppen Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit erreicht werden (vgl. Lindmeier 2000: 8). In dieser Phase wurden auch Menschen mit Behinderung als Zielgruppe der Erwachsenenpädagogik erfasst. In den 80er Jahren wurden dann Zielgruppenkonzepte entwickelt, die das Lernen in heterogenen Gruppen als Zielperspektive integrativer Erwachsenenbildung fokussierte (vgl. Theunissen 2003: 189 ff). Ein einflussreiches Beispiel hierfür ist das integrative Konzept von Erika Schuchard (1987) , welches Sie in ihrer Monographie „Schritte aufeinander zu. Soziale Integration Behinderter durch Weiterbildung" darlegt. In diesem Zielgruppen-Interaktions-Konzept beschreibt sie das wechselseitige Lernen von behinderten und nicht behinderten Menschen und schaffte damit einen neuen Zielgruppenansatz, der als gesellschaftspolitische Aufgabe aus der Erwachsenenbildung nicht mehr wegzudenken ist (vgl. Theunissen 2003: 49). Christian Lindenmeier verfolgt dieses integrative Modell bis heute weiter. In Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit wird näher auf die Inhalte dieses Konzeptes eingegangen.

[5] seit 1994 dann „Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e. V."

2.1 Die geschichtliche Entwicklungen der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung in den 80er Jahre bis heute

Gegen Ende der 80er Jahre geriet das Zielgruppenkonzept in der allgemeinen Erwachsenenpädagogik immer mehr in Misskredit, da dieses zu einer Homogenisierung und Ausgrenzung der Lerngruppen führt (vgl. Lindmeier; Ryffel; Skelton 2000: 133). Es kam zu einem Rückgang der Zielgruppenarbeit und der integrativen Bestrebungen in der allgemeinen Erwachsenenpädagogik und zur Herausbildung separativer Tendenzen. Georg Theunissen (2003: 12) betont, dass die Randständigkeit der Erwachsenenbildung bei Menschen mit geistiger Behinderung noch längst nicht überwunden ist und die gesellschaftliche Stigmatisierungstendenz gegenüber diesen Menschen anhält. So haben sich Institutionen der allgemeinen Erwachsenenbildung (wie z. B. die Volkshochschulen) trotz des Prinzips der Offenheit erst ansatzweise für die Bildungsarbeit mit geistig behinderten Menschen geöffnet. Georg Theunissen (2003: 48) vermutet, dass der erhöhte Organisations- und Betreuungsaufwand Grund dafür ist, dass die Bildungsangebote damals wie heute vorrangig von Verbände, Trägern und Einrichtungen der Behindertenhilfe und nicht durch allgemeine Bildungsstätten initiiert und durchgeführt werden. Im Sinne des Normalisierungsprinzips jedoch wäre die Bildung von Menschen mit geistiger Behinderung auch der Auftrag der Volkshochschulen. Wie im Grundgesetz im Artikel 3, Absatz 1 und 3 verankert ist, darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden (vgl. Deutscher Bundestag 1994: 12). Die Gedanken des Normalisierungsprinzips und der Chancengleichheit sagen aus, dass gesellschaftliche Angebote, wie z. B die der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung ebenso normal und zugänglich sein müssen wie für nichtbehinderte Menschen (vgl. Theunissen 2003: 12). Heute bieten viele Einrichtungen der Behindertenhilfe interne Bildungskurse –als festen Bestandteil ihrer Arbeit- für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung an. Aus integrationspädagogischer Sicht ist darüber hinaus ebenso die Erweiterung integrativer Angebote in der allgemeinen Erwachsenenpädagogik dringend erforderlich.

3 Grundüberlegungen zur Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung

Einleitung

Die Erwachsenenbildung wird in Bezug auf die Förderung eines selbst bestimmten Lebens von Menschen mit geistiger Behinderung angesehen, da deren Prinzipien: Freiwilligkeit, Wahlfreiheit und Mitbestimmung sich mit den heilpädagogischen Grundsätzen der Betreuung dieser Personengruppe deckt (vgl. Lindmeier; Ryffel; Skelton 2000: 129).

Wir leben in einer Lerngesellschaft, in der lebenslanges Lernen als besondere Herausforderung für jeden Menschen vorausgesetzt wird. Es reicht nicht mehr aus mit den in der Schule erworbenen Fähigkeiten seine gesellschaftliche Rolle auszufüllen. In unserer durch permanenten Wandel geprägten Gesellschaft ist es notwendig sich auf die immer neuen Veränderungen einzulassen. Nur durch lebenslanges Lernen ist es dem einzelnen Menschen möglich an diesem gesellschaftlichen Fortschritt teilzuhaben, dies gilt gleichermaßen für nichtbehinderte wie behinderte Menschen. Georg Theunissen (2003: 195) betont das Bürgerrecht auf lebenslange und permanente Weiterbildung für Menschen mit Behinderung. In diesem Kapitel werden die Aspekte und Gründe für die Notwendigkeit der lebenslangen Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung, die verschiedenen Zielgruppen sowie die Funktionen, Inhalte und Besonderheiten der Erwachsenenpädagogik bei Menschen mit geistiger Behinderung aufgezeigt.

3.1 Das Recht auf lebenslange Bildung

An dieser Stelle sei auf den bedeutenden deutschen Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki (in Theunissen 2003: 42 f) verwiesen, welcher drei zentrale Grundsätze eines allgemeinen Bildungskonzeptes aufgestellt hat:

  1. Bildung ist ein Grundrecht für alle. Grundsätzlich gilt also: Jeder Mensch mit geistiger Behinderung hat unabhängig von Art und Schwere seiner Behinderung ein Recht auf lebenslange Bildung.
  2. Schlüsselqualifikationen sollen erworben werden, die zur Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Aufgaben sowie zur Partizipation am gesellschaftlichen Leben erforderlich sind (wie z.B. Selbstbewusstsein und -annahme, Entscheidungs- und Durchsetzungsfähigkeit, Gewinnung von Autonomie und Handlungskompetenz).
  3. Die allseitige Entfaltung der Persönlichkeit gilt als emanzipatorischer Auftrag der allgemeinen Bildung (z. B. ästhetische Bildung in der Funktion von Wahrnehmungsförderung, Bewusstseinsbildung und zur Erschließung von Lebenssinn).

Der Grundsatz, dass Erwachsenenbildung im Sinne von Allgemeinbildung jedermann zugänglich sein muss sowie die generelle Offenheit der Angebote der allgemeinen Erwachsenenbildung für alle Mitbürger sind auch in den Weiterbildungsgesetzen der einzelnen Bundesländer verankert (vgl. Lindmeier 2000: 7). Hierdurch spiegelt sich die Anerkennung des Rechts auf lebenslange Bildung behinderter Menschen auf gesetzlicher Ebene wieder. Nun ist es wichtig, dass die Anerkennung des Grundrechts auf lebenslanges Lernen von Maßnahmen gedeckt wird, die Vorraussetzungen für die Ausübung dieses Rechtes schaffen. Hinsichtlich des Erwerbes von Schlüsselqualifikationen stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten und Kenntnisse der Einzelne benötigt, um sich angesichts seiner Möglichkeiten emanzipatorisch, autonom und sozial verwirklichen zu können. Im Bildungsprozess kommt es dann darauf an diejenigen Schlüsselqualifikationen zu fördern, die benötigt werden, um emanzipiert zu leben. (vgl. Theunissen 2003: 80)

3.2 Die Notwendigkeit einer lebenslangen Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung

Im Folgenden werden die Gründe für die Legitimation einer lebenslangen Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung anhand der von Georg Theunissen (2003: 52 ff) beschriebenen Aspekte dargestellt:

  1. Die fortschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen fordern von jedem Menschen die Fähigkeit, sich auf ständig neue Lebenssituationen einstellen zu können. Menschen mit geistiger Behinderung fällt dies jedoch häufig schwer, so dass sie so genannte „bildende Hilfen" benötigen, die ihnen eine selbstständigere und flexiblere Lebensgestaltung ermöglichen, um so die gesellschaftliche Abhängigkeit auf ein Minimum zu reduzieren.
  2. Frühförderung und schulische Bildung gilt heute als ein Grundstein der Behindertenarbeit. Die berufliche Bildung jedoch beschränkt sich meist auf Menschen mit einer Lernbehinderung bzw. leichten geistigen Behinderung. Für schwerst- und mehrfach behinderte Personen enden die Bildungsangebote meist mit der Schulzeit, so dass die in der Schule mühsam erworbenen Fähigkeiten nicht erhalten bzw. erweitert werden können. Studien haben gezeigt, dass die höchste Lern- und Leistungsfähigkeit dieser Menschen zwischen dem 20. und 34. Lebensjahr liegt. Hier stellt sich die berechtiget Frage nach der Sinnhaftigkeit der vorangegangenen Bildungsbemühungen, wenn eine Weiterbildung nach der Schulzeit nicht angeboten wird.
  3. Eine Vielzahl der Menschen mit geistiger Behinderung benötigen spezifische Hilfen zum Erlernen ihrer Erwachsenenrolle. Im Sinne des Bildungskonzeptes von Wolfgang Klafki handelt es sich hierbei um den Erwerb von Schlüsselqualifikationen. Die Anforderungen und Aufgaben des Erwachsenenlebens zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wie die Ablösung vom Elternhaus, das Wohnen in einer Wohneinrichtung, Arbeiten, Freizeitgestaltung, Partnerschaft usw. müssen begleitet und die Herausbildung der Handlungskompetenz gefördert werden.

Insbesondere werden schwer geistig behinderte Menschen von ihrer Umwelt nicht ernst genommen und oftmals wie Kinder behandelt, bevormundet und überbehütet. Die Chance sich als erwachsener selbstständiger Mensch mit Entscheidungs- und Handlungsautonomie zu entwickeln wird durch das Helfersystem (Eltern, Mitarbeiter der Behinderteneinrichtungen usw.) und die Systemzwänge vieler Institutionen sehr erschwert (Hospitalisierung). Die Aufgabe der Erwachsenenbildung wäre an dieser Stelle die Förderung des selbst bestimmten und eigenverantwortlichen Handelns.

Empowerment, Selbstbestimmung und Mitspracherecht in Bezug auf die alltägliche Lebensgestaltung stehen in der aktuellen Diskussion in der Behindertenarbeit hoch im Kurs. Bildungsarbeit der Erwachsenenpädagogik kann hier auf die Entfaltung dieser Rechte und Emanzipation abzielen. Erwachsenenbildung leistet in diesem Sinne „Eingliederungshilfe", d. h. ihr kommt u. a. die Aufgabe zu „Isolation zu durchbrechen und durch Bildungsangebote soziale Integration im Sinne einer verbesserten Interaktion zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen anzustreben." (Carroll 2000: 294).

Die aufgeführten Gesichtspunkte verdeutlichen die Notwendigkeit der Weiterbildungsangebote für diese Zielgruppe. Die Aufgabe der Erwachsenenbildung für behinderte Menschen ist nicht nur die Erhaltung und Erweiterung des Gelernten, sondern ebenso die Befähigung, selbstständig mehr Entscheidungen im täglichen Leben treffen zu können. Bildungsangebote bieten die Möglichkeit zur Selbsterfahrung, stärken das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen. Da der Fokus der Bildungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung auf der Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung der Teilnehmer liegt versteht sich Bildung hiermit also als Hilfe zur gesellschaftliche Teilhabe und Integration. Erwachsene Menschen mit einer Behinderung benötigen laut Georg Theunissen (2003: 54) „... zunächst einmal gezielte und fortwährende Bildungsangebote, um alltägliche Situationen, Anforderungen und stetige Veränderungen der Gesellschaft besser bewältigen zu können. Solche Angebote stellen Lern- und Lebenshilfen dar, die von den Betroffenen aus (...) und mit ihnen gemeinsam zu erschließen sind, wobei nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle ihr Bildungsinteresse erkennen oder artikulieren sowie die Möglichkeit einer Weiterbildung selbständig nutze."

3.3 Mögliche Zielgruppen

In Bezug auf die Erwachsenenbildung von geistig behinderten Menschen unterscheidet Georg Theunissen (2003: 7 f) drei Personenkreise:

  1. Zur ersten Gruppe zählen Personen, die in geschützten Werkstätten für behinderte Menschen (WfB) arbeiten oder einfache Tätigkeiten auf dem freien Arbeitsmarkt übernehmen. Sie können sich meist sprachlich äußern und verständigen, sind relativ selbstständig und leben meist bei den Eltern bzw. in betreuten Wohneinrichtungen. Diese Personengruppe gilt in den meisten Konzeptionen der Erwachsenenbildung für Menschen mit lern- bzw. geistiger Behinderung als Hauptadressat, so dass ihnen entsprechend breites Spektrum an Bildungsangeboten bereitgestellt wird.
  2. Der zweite Personenkreis umfasst Menschen, die als mehrfach und schwer geistig behindert gelten und darüber hinaus oftmals durch zusätzliche Beeinträchtigungen (z. B. Rollstuhl-gebundenheit, autistische Verhaltensweisen, Verhaltenssauffälligkeiten, psychische Störungen, Hospitalisierungssymptome, chronische Erkrankungen usw.) eingeschränkt sind. Sie sind nicht bzw. kaum in der Lage sich sprachlich zu äußern und sind im hohen Maße auf fremde Hilfe angewiesen. Bis vor einigen Jahren galt diese Personengruppe als „bildungsunfähig" und ist bis heute eher ein Stiefkind der Erwachsenenbildung behinderter Menschen, auch wenn diese Personen ganz langsam als Zielgruppe ins Blickfeld der Bildungsarbeit für behinderte Menschen rücken.

Eine dritte Gruppe umfasst Personen, die als „alt" gelten und häufig eine „Institutionsbiographie" aufweisen. Da deren Bedürfnisse von denen der jüngeren Menschen mit geistiger Behinderung abweichen, ist hier die Entwicklung spezieller lebensbegleitender Modelle für alte Menschen mit Behinderung unter Einbeziehung der Biographiearbeit erforderlich.

Die Bildung bei Menschen mit Lernschwierigkeiten und leichten geistigen Behinderungen wird heute nicht mehr in Frage gestellt. Als problematisch zu betrachten sind jedoch die noch immer bestehenden Vorurteile bezüglich der Bildung geistig schwerst- und oder mehrfach behinderten Menschen. Interessant ist ebenso die Arbeit mit älteren geistig behinderten Menschen, hier sind laut Ansicht der Autorin insbesondere biographiebezogene Ansätze wirksam. An dieser Stelle sei auf ein interessantes Buch von Christian Lindmeier zu Biografiearbeit mit geistig behinderten Menschen [6] verwiesen. Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt keine weitere Auseinandersetzung mit dieser Personengruppe.

[6]Lindmeier, Christian: Biografiearbeit mit geistig behinderten Menschen. Ein Praxisbuch für Einzel- und Gruppenarbeit. Juventa Verlag, Weinheim und München, 2004

3.4 Funktionen und Aufgaben der Erwachsenenpädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung

Georg Theunissen (2003: 62 ff) benennt folgende Funktionen der Erwachsenenpädagogik von Menschen mit geistiger Behinderung:

  1. Emanzipatorische Funktion: Emanzipation ist das Überwinden von Verhältnissen, die die Verwirklichung des vollen Menschseins beeinträchtigen bzw. verhindern. Der Emanzipationsgedanke entspricht demnach dem bereits beschriebenen Empowermentansatz.
  2. Kompensatorische Funktion: Im Sinne von Nach- und Wiederholen von versäumten Lerninhalten und die Kompensation von spezifischen Lernausfällen.
  3. Komplementäre Funktion: Die sich ständig verändernden Lebensbedingungen erfordern eine laufende Anpassung an die Umwelt, so dass Informationsvermittlung, Aufklärung und die Unterstützung bei der Bewältigung der gesellschaftlichen Realität eine Aufgabe der Erwachsenenpädagogik von Menschen mit geistiger Behinderung ist.
  4. Therapeutische Funktion: Therapeutische Verfahren können im Rahmen der Erwachsenenbildung zum Einsatz kommen, wenn sie dem Bildungsanliegen dienen. Lern- und Bildungsprozesse können demnach therapeutische Qualitäten haben, wenn sie z. B. zum Aufbau oder zur Steigerung des Identitäts- und Selbstwertgefühls sowie zum Abbau von Lernhemmungen beitragen. Entscheidend ist hier die Verknüpfung mit der emanzipatorischen Funktion.
  5. Integrative Funktion: Erwachsenenbildung bei Menschen mit geistiger Behinderung hat auch die Funktion von „Eingliederungshilfe", in dem die Bildungsangebote Themen, wie z. B. Wohntraining oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zum Inhalt haben.

Laut Georg Theunissen (2003: 78 ff) stellen die zentralen eng verknüpften Aufgaben hinsichtlich der Selbstbestimmung behinderter Menschen die Unterstützung und Begleitung der Identitätsbildung, der Persönlichkeits-entwicklung und der Sachwelterschließung sowie soziales Lernen zum Zwecke sozialer und partnerschaftlicher Teilhabe dar. Das übergeordnete Ziel der erwachsenenpädagogischen Angebote für Menschen mit einer Behinderung ist demnach die Entfaltung von Fähigkeiten hinsichtlich von Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität. Konkret bedeutet dies, dass Rahmenbedingungen vorhanden sein müssen, in denen sich behinderte Menschen austauschen, beraten und zunehmend ermächtigen können, ihre Interessen selbst bestimmt zu vertreten und die bereits beschriebenen Schlüsselqualifikationen auszubilden

3.5 Inhalte der Erwachsenenpädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung

Die Inhalte der Bildungsangebote sind prinzipiell so individuell wie die Bedürfnisse und Lebenssituationen der Teilnehmer. Trotz der grundsätzlichen Offenheit hinsichtlich der Themen beschränken sich die Angebote oftmals auf den musischen und lebenspraktischen Bereich. Um jedoch die bereits erwähnten Schlüsselqualifikationen zu erlangen, sind Angebote aus allen Bereichen denkbar, die die Lebenslage, Interessen, Ressourcen und Möglichkeiten von Menschen mit Behinderung betreffen, wie z. B. die Themenbereiche Umweltorientierung und -bewältigung, Kulturtechniken, Basisfähigkeiten, Gesundheit, Erwachsenwerden sowie wohn-, freizeit-, alltags-, arbeitsbezogene und psychosoziale Angebote usw. Hier zeigt sich, dass die Themenpalette kaum von den Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung abweicht. Aufgrund von Erfahrungen und Beobachtungen lassen sich prominente Bildungsangebote im Sinne von Bildungserfordernissen für den Personenkreis benennen, welche aus spezifischen Lebensbedingungen und individuellen Vorrausetzungen abgeleitet werden können, dennoch sollte jeder Teilnehmer als Kunde betrachtet werden, der an der Themenauswahl beteiligt ist. (vgl. Theunissen 2003: 85 ff)

Für die Personengruppe der schwer geistig behinderten Menschen sind gemäß Winfried Mall [7](1998) folgende Inhalte und Themen didaktisch-methodisch denkbar und umsetzbar: Basiserfahrungen um die Themen Zuverlässigkeit, Rhythmus, ganzheitliches Spüren; differenzierte Erfahrung von Körper und Sinnen (hören, riechen, sehen usw.); Erfahrung von Regelmäßigkeit, Zusammenhängen und Abläufen; die Erfahrung der eigenen Wirksamkeit und Selbsttätigkeit; Erfahrungen der Möglichkeit eigene Interessen zu verfolgen und mit den eigenen Äußerungen die Umwelt zu beeinflussen. Sensomotorische und ganzheitliche Erfahrungen stehen hier im Fordergrund und können u. a. durch methodische Konzepte wie die basale Simulation und Kommunikation, Psychomotorik, sensorische Integration, gestalterische und rhythmisch-musikalische Ansätze ausgefüllt werden. Laut Georg Theunissen (2003: 84) erstreckt sich das Ziel des basalen Lernens auf elementare Fähigkeiten und spielt insbesondere in der Bildungsarbeit mit geistig schwer und mehrfach behinderten Menschen eine zentrale Rolle, da das basale Vorgehen den Lernbedürfnissen und Vorraussetzungen vom Menschen mit erheblichen Behinderungen sehr entgegen kommt. Darüber hinaus ist der basale Charakter eine wichtige Eigenschaft der ästhetischen Bildung, die einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung leisten soll. Basales Lernen sichert den Raum für verlorene gegangene Primär-, Selbsterfahrungen und Selbstbildung.

[7] Diplom-Heilpädagoge, heilpädagogischer Fachberater

3.6 Besonderheiten der Erwachsenenpädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung

Volker Carroll (2000: 313) stellt fest, dass Erwachsenenbildung bei Menschen mit geistiger Behinderung weit mehr ist als ein systematisiertes Lernangebot. Es ist ein Ort der zwischenmenschlichen Begegnung, die für jeden einzelnen Teilnehmer ein Stück Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und eine damit verbundene Verbesserung der Lebensqualität bedeutet. Im Folgenden werden weitere Besonderheiten der Erwachsenenpädagogik von Menschen mit geistiger Behinderung aufgezeigt.

  1. Förderung gleich Bildung? Bildung gleich Freizeit
    Im traditionellen Sinne wird die Bildungsarbeit mit schwer geistig behinderten Menschen gern als „Förderung" bezeichnet. Förderung ist jedoch ein handlungsbezogener Begriff und impliziert die von professionellen Helfern gesteckten Ziele und nicht die vom Betroffenen ausgehenden Interessenlage. Bildung hingegen ist theoretisch begründet, ist einer menschlichen Emanzipation verpflichtet und schließt immer Lern- und Entwicklungsprozesse im reflexiven Sinne mit ein. Unter Einbeziehung des Empowermentgedanken ist der Begriff Förderung im Rahmen von Bildungsarbeit dann legitim, wenn die Angebote durch stimulierende Lernsituationen und assistierende Hilfe die Teilnehmer in die Lage versetzten, etwas aus sich zu machen, d. h. z. B. ihr Leben für sich sinnvoll und weitestgehend autonom zu gestalten. (vgl. Theunissen 2003: 58) Erwachsenenbildung geistig behinderter Menschen wird zusätzlich oftmals dem Freizeitbereich zugeordnet. Doch Bildung ist immer mit einem Lernziel verbunden und die Angebote werden didaktisch-methodisch aufbereitet, wohingegen Freizeit eben als „freie Zeit" verbracht wird und u. a. durch Spontaneität, Zufall und Erholung geprägt ist. Um eine Wertschätzung und Anerkennung der Erwachsenenpädagogik bei Menschen mit geistiger Behinderung zu erreichen ist die Abgrenzung der Erwachsenenpädagogik zum Freizeitbereich dringend erforderlich. (vgl. Theunissen 2003: 61)

  2. Notwendigkeit des Assistierens
    Der Unterschied zur Erwachsenenpädagogik bei nichtbehinderten Menschen liegt u. a. in der Tatsache, dass erwachsene Menschen mit Behinderung in stärkerem Maße von ihrer Umwelt und den Mitmenschen (sozialer Abhängigkeit) abhängig sind. Georg Theunissen merkt dazu an, dass die Mehrzahl der Betroffenen ohne Unterstützung mit der Eigenverantwortung, die die allgemeinen Bildungsangebote abverlangen, überfordert wäre. Demnach kommt es darauf an, die Betroffenen durch gezielte Angebote zur Eigenverantwortung und zur Artikulation ihrer Wünsche anzuregen. Diese Unterstützung soll nach Maßgabe der „neuen Kultur des Assistierens", welche im allgemeinen Weiterbildungskonzept als teilnehmerorientiert und erwachsenengemäß ausgewiesen ist, stattfinden. Hier muss sich die Erwachsenenpädagogik deutlich von vom bisherigen erzieherischen Ansätzen der Heilpädagogik abgrenzen und sich dem Assistenzbegriff hinwenden. Im Gegensatz zu nichtbehinderten Menschen ist bei der genannten Zielgruppe jedoch das Verhältnis von Erwachsenenbildner und „Kunden" durch die Notwendigkeit und Dringlichkeit zum Assistieren geprägt. (vgl. Theunissen 2003: 55 ff)

  3. Lebensweltliche Bezugssysteme
    Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Erwachsenenpädagogik mit nichtbehinderten Menschen ist die Kontextgewichtung, d. b. in der Bildungsarbeit von Menschen mit geistiger Behinderung muss stets das soziale Bezugsfeld der Teilnehmer einbezogen werden. Hans Linden und Norbert Schwarte (1985) betonen hierzu: „Der Lernfortschritt des Behinderten hängt von der Lernfähigkeit des ihn umgebenden sozialen Systems entscheidend ab. (...) Lernen im Sinne langfristiger wirksamer, erfahrungsbedingter Veränderungen kann bei geistig behinderten Erwachsenen nicht in Gang gebracht werden, wenn sich nicht das umgebende soziale Bezugsystem mit verändert, also auch lernt..." (zitiert in Theunissen 2003: 59). Erwachsenenbildung ist demnach nur erfolgreich, wenn Emanzipation zugelassen wird. Ein wesentlicher Bestandteil der Bildungsarbeit mit dieser Zielgruppe ist demnach die Zusammenarbeit und Einbeziehung des sozialen und lebensweltlichen Bezugsfeldes der Teilnehmer (wie z. B. die Eltern, Mitarbeiter von Wohneinrichtungen). Bei den Bezugspersonen muss die Bereitschaft gefördert werden, dem geistig behinderten Menschen mehr Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zu gestatten. Nur durch die Veränderung der gegebenen Lebensbedingungen ist die Bildungsarbeit wirksam (vgl. Theunissen 2003: 59).

In der Arbeit mit Erwachsenen, die als geistig schwer bzw. mehrfach behindert gelten haben wir es oftmals mit Situationen zu tun, die über ein Gruppenangebot hinaus ein verstärktes Maß an Unterstützung notwendig machen, um die Bildungsprozesse anzustiften bzw. Bildungsmöglichkeiten zu optimieren. Dies gilt speziell für Personen, die durch institutionelle Rahmenbedingungen schwer hospitalisiert wurden (vgl. Theunissen 2003: 164). Das Lernen von Menschen mit geistiger Behinderung unterscheidet sich vom Lernen nicht behinderter Menschen. Abstraktes Lernen ist bei diesem Personenkreis nur sehr eingeschränkt möglich. Finden Lernprozesse jedoch unmittelbar und konkret, d. h. lebensnah und auf bekannte Situationen und Handlungen bezogen statt sind sie Erfolg versprechend. Sinnvoll werden die Bildungsangebote wenn sie in das Alltagsleben der Betroffenen integriert werden und für sie von konkreter, insbesondere auch von sozialer Bedeutung sind. Alltagsbezogenes und handlungsorientiertes Lernen ist demnach das wichtigste methodische Instrument.

4.1 Die Ebenen der Integration

Unter Integration versteht Stefan Doose (1997), dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Behinderung miteinander leben, lernen und arbeiten können und sollen (vgl. Theunissen 2003: 108). Laut Christian Lindmeier (2000: 14) versteht sich die integrative Bildungsarbeit als Verständigungslernen, bei dem Menschen aus unterschiedlichem Milieu voneinander Verschiedenes und Neues lernen. Integration muss nach Bengt Nirje als ein komplexes und mehrschichtiges Phänomen aufgefasst werden, welches sich auf mehreren Ebenen der personalen und sozialen Wirklichkeit konstituiert. Im Anschluss werden diese verschiedenen Ebenen der Integration im Hinblick auf die Interessen von Menschen mit geistiger Behinderung dargestellt (vgl. Lindmeier 2000: 11 ff):

  • Räumliche Integration bedeutet, dass die Bildungsangebote in Regel-einrichtungen der Erwachsenenbildung, wie z. B. den Volkshochschulen durchgeführt werden.
  • Funktionale Integration versteht sich als Erweiterung der räumlichen Integration, d. h. Regeleinrichtungen der Erwachsenenbildung sollten barrierefrei sein und zudem auf funktionale Beeinträchtigungen von behinderten Menschen abgestimmte Lernmaterialien und -hilfen zur Verfügung stellen.
  • Soziale Integration bezieht sich auf zwischenmenschliche Beziehungen. Soziale Akzeptanz und Respekt auf gegenseitiger Basis sollen durch dieses soziale Zusammensein gefördert und gefestigt werden. Hierzu gehören u. a. Kurse in denen behinderte und nichtbehinderte Teilnehmer gemeinsam lernen.
  • Personale Integration bedeutet, dass sich entwickelnde und sich verändernde Bedürfnis nach sinngebenden Beziehungen. Dazu ist notwendig, dass die Lebens- und Wohnsituation von behinderten Menschen solche persönlichen Beziehungen einschließlich Partnerschaft zulässt. Als Erweiterung des Normalisierungsprinzips soll das Wohnen behinderter Menschen demnach nicht mehr in Institutionen erfolgen sondern in Privatwohnungen, so dass diesen Menschen ein gemeindenahes- und stadtteilintegriertes Wohnen ermöglicht wird und somit auch soziale Integration gewährleistet wird. Darüber hinaus kann Erwachsenenpädagogik an dieser Stelle die Möglichkeit zum Kompetenzerwerb für ein selbstständiges Leben bieten.
  • Gesellschaftliche Integration bezieht sich auf die Entwicklung als Bürger im Bezug auf gesetzliche Ansprüche, auf die Gelegenheit zum persönlichen Wachstum und einem erfüllten Dasein durch entsprechende Respektierung individueller Wünsche. Durch die Grundprinzipien der Erwachsenenbildung (Freiwilligkeit, Wahlfreiheit und Mitbestimmung) wird der Forderung (der gesellschaftlichen Integration) nach Selbst-bestimmung entsprochen.
  • Organisatorische Integration kann nicht als „normale" strukturelle Bedingung der Erwachsenenbildung angesehen werden. Die räumliche, soziale, personale und gesellschaftliche Integration behinderter Menschen bedarf der institutionellen Verankerung.
  • Didaktische Integration steht im engen Zusammenhang mit der sozialen Integration. Der didaktischen Integration liegen die makrodidaktische (Angebotsplanung) und mikrodidaktische (Kursplanung und -durchführung) Handlungsebene zu Grunde.

4.2 Organisationsformen der integrativen Erwachsenenbildung

Die organisatorische Integration hat eine große Bedeutung für die integrative Erwachsenenbildung. Hier lassen sich verschiedene Organisationsformen abgrenzen, wobei hier insbesondere die organisatorische Zuständigkeit, der Lernort und die Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens von Menschen mit und ohne Behinderung für die Abgrenzung der Modelle ausschlaggebend ist (vgl. Lindmeier; Ryffel; Skelton 2000: 139 ff).

  • Separationsmodell:
    Hier werden die Bildungsangebote von Institutionen (z. B. Einrichtungen der Behindertenhilfe, kirchlichen Organisationen) geplant und durchgeführt, welche primär keinen Bildungsauftrag haben. Die Adressaten der Angebote sind ausschließlich Menschen mit geistiger Behinderung.
  • Kooperationsmodell:
    Hier kooperieren Einrichtungen der Behindertenhilfe mit Institutionen der allgemeinen Erwachsenenpädagogik (wie z. B. der Volkshochschule) in unterschiedlicher Weise bei der Organisation und Durchführung der Bildungsangebote. Die Erwachsenbildungseinrichtungen haben hier u. a. den Auftrag administrative Aufgaben (wie Anmeldemodalitäten) zu übernehmen und die Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Verlagerung der Lernorte außerhalb der o. g. Einrichtungen ermöglicht die räumliche Integration und somit den Abbau von Hemmschwellen zum Besuch von regulären Kursangeboten sowie die Anbahnung von Sozialkontakten (soziale Integration). Die Kursplanung und –durchführung hingegen wird in den meisten Fällen von Mitarbeitern aus der Behindertenarbeit übernommen.
  • Zielgruppenmodell:
    Zielgruppenarbeit wird zum einen von Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenpädagogik, die Menschen mit geistiger Behinderung als eigenständige Zielgruppe berücksichtigen, durchgeführt. Bei größeren Einrichtungen wird meist ein eigener Fachbereich eingerichtet. Zum anderen unterbreiten spezialisierte (eigenständige) Erwachsenenbildungseinrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung Angebote (z. B. die Sondererwachsenenbildungseinrichtung Heimvolkshochschule Bethel) nach dem Zielgruppenmodell. Ausschlaggebend für die Zuordnung zum Zielgruppenmodell ist der Fakt, dass die Fachkompetenz in Bezug auf Erwachsenenbildung ebenso wie in Bezug auf behindertenspezifische Angelegenheiten bei der anbietenden Institution liegt. Dies ist die zentrale Vorraussetzung beim Übergang zum Integrationsmodell mit einem umfassenden Dienstleistungsangebot.
  • Integrationsmodell:
    Die allgemeinen Erwachsenenbildungseinrichtungen bieten behinderten Menschen separate Kurse an und öffnen ebenso ihre regulären Kurse für Menschen mit Behinderung (integrative Angebote). Eingeschlossen sind hier auch Dienstleistungen, wie die fachliche Beratung sowie die Koordination bei Bedarf an persönlicher Assistenz und Begleitung.

4.3 Aufgabenstellung der integrativen Erwachsenenbildung

Unter dem makrodidaktischen Aspekt der didaktischen Integration lassen sich die folgenden integrationsrelevanten Aufgaben der integrativen Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung akzentuieren (vgl. Lindmeier 2006: 14 f):

  • Die Auswahl relevanter Themen, welche für alle Teilnehmer interessant sein könnten,
  • die institutionelle Kooperation, d. b. die Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Behindertenhilfe bei der Rekrutierung von Lehrkräften, bei der Teilnehmerwerbung und Zielgruppenanprache sowie bei der Auswahl der Lernorte,
  • die zielgruppenadäquate Programmgestaltung und Teilnehmergewinnung,
  • und die persönliche Assistenz durch eine nichtbehinderte Begleitperson.

Auf der mikrodidaktischen Handlungsebene stellt sich insbesondere die Frage nach der Kursleiterqualifikation, den Unterrichtsmethoden und -materialien sowie nach der unterschiedlichen Lernmotivation der Teilnehmer (vgl. Lindmeier 2006: 15).

Nach Ansicht der Autorin sind für das integrative Modell insbesondere folgende Angebote von Bedeutung: einfach strukturierte EDV- bzw. Englisch-Kurse die schrittweises Lernen ermöglichen, musikorientierte Angebote wie Tanz- oder Trommelkurse sowie alltags- und lebenspraktische Angebote wie Nähkurse. Jedoch scheint hier lediglich die Teilnahme von Menschen mit lern- bzw. leichter geistiger Behinderung (die in Kapitel 3.3. beschriebene erste Personengruppe) realistisch.

4.4 Möglichkeiten und Grenzen der integrativen Erwachsenenbildung

Knust Potter (1993) meint das „Normalisierte Erwachsenenbildung heißt, dass Bildungskurse primär in allgemeinen Erwachsenenbildungseinrichtungen stattfinden und nicht ausschließlich zielgruppenorientiert organisiert werden. Um Aussonderung entgegenzuwirken, sollten Chancen der Integration in die öffentlich ausgeschriebenen, allgemeinen Erwachsenenbildungsangeboten geschaffen werden." (zitiert in Lindmeier; Ryffel; Skelton 2000: 137).
Erste empirische Studien zeigen jedoch, dass die Bildungsveranstaltungen für Menschen mit geistiger Behinderung aktuell zu einem sehr hohen Prozentsatz in Einrichtungen der Behindertenhilfe stattfinden und nur ein geringer Anteil durch Institutionen der allgemeinen Erwachsenenbildung abgedeckt wird. (vgl. Theunissen 2003: 202). Hier zeigt sich, dass in der Praxis trotz aller Bestrebungen das Separationsmodell derzeit vorherrscht und zielgruppenspezifische separate Kursangebote nach wie vor ein deutliches Übergewicht am Gesamtangebot der Kurse haben. Autoren wie Georg Theunissen (2003), Christian und Bettina Lindmeier, Gaby Ryffel und Rick Skelton (2000) betonen die Gefahr und derzeitige Tendenz in zur Herausbildung einer „Sonder-Andragogik" (Sondererwachsenenbildung), welche nicht konform mit Normalisierungsprinzip ist.

Anders als in der Phase der Zielgruppenarbeit werden in der jetzigen Phase der integrativen Erwachsenenbildung die Bildungsmöglichkeiten und -interessen behinderter Menschen in der allgemeine Erwachsenenpädagogik kaum beachtet. Begründen lässt sich dies möglicherweise damit, dass die Art der Verschiedenheit gesellschaftlich weniger von Interesse ist als z. B. bei Unterschiedlichkeiten der Kulturen. Behinderungen lösen bei nichtbehinderten Menschen Differenz-erfahrungen aus, die nicht zur gewünschten Perspektivenverschränkung führen –da sie nicht als interessant und relevant für die eigene Identitätsentwicklung angesehen werden- sondern zu Aus- und Abgrenzung (vgl. Lindmeier 2000: 9 f). Ein weiterer Grund für das Desinteresse der allgemeinen Erwachsenenbildung liegt in der Tatsache begründet, dass die Institutionen bei der Angebotsplanung verstärkt auf die Zahlungskräftigkeit ihrer Teilnehmer achten müssen. Diese Markt- und Kundenorientierung hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass Zielgruppen-angebote für Menschen mit Behinderung in der Regelerwachsenenbildung nicht weiter ausgebaut wurden (vgl. Lindmeier 2000: 9 f).

Laut Christian Lindmeier (2000: 14 ff) zeigt die Erfahrung in Kursen für Behinderte und Nichtbehinderte, dass so genannte Nichtbehinderte nur in Ausnahmefällen zu einer Teilnahme an solchen Kursen interessiert sind. Gründe für die Ablehnung sind möglicherweise die Kontaktscheue zwischen Menschen mit und ohne Behinderung, der Lernort (meist Behinderteneinrichtungen) sowie Befürchtungen hinsichtlich des Anspruchsniveaus der Bildungsangebote. Gemeinsames Lernen von behinderten und nichtbehinderten Menschen ist daher effektiver, wenn die behinderten Menschen an regulären Weiterbildungs-veranstaltungen teilnehmen. Dies ist sicher für lernbehinderte bzw. körperlich beeinträchtigte Menschen teilweise möglich, für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung ist dies jedoch nicht realisierbar. Sprachliche Barrieren und Verständigungsprobleme stellen die größte methodische Herausforderung für den Kursleiter dar. Insbesondere die verschiedenartigen biographische und milieuspezifische Erfahrungen und die unterschiedliche Deutungsmuster erschweren das gemeinsame Lernen.

Die integrative Erwachsenenbildung ist ein wichtiges Instrument zur Förderung sozialer Integration und der Umsetzung des Normalisierungsprinzips. Aber auch das Separationsmodell hat aufgrund nachfolgender Aspekte seine Berechtigung. Schwellenängste, welche geistig behinderte Teilnehmer oftmals gegenüber Angeboten der allgemeinen Bildungsstätte haben, können durch separate Kurse, die in einem geschützten Rahmen stattfinden überwunden werden. Auch ein erster Austausch und die Kontaktaufnahme mit anderen behinderten Menschen kann so ermöglicht werden. Zielgruppenarbeit führt nicht zwingend zur Homogenisierung von Lerngruppen und zu deren Isolation, sondern kann im Sinne eines sozialen
Schonraums notwendig sein, um sozial benachteiligte und bildungsungewohnte Lerngruppen dazu anzuregen durchsetzungsfähiger zu werden, um sich dann in heterogenen Gruppen behaupten zu können (vgl. Lindmeier 2000: 8, 17). Die separaten Kurse haben an dieser Stelle Ersatzfunktion und sollen auf Angebote der Kooperations- und Zielgruppenmodelle und letztlich auf das Integrationsmodell hinwirken. Die räumliche Integration gilt hier als erster Schritt für die spätere Teilnahme an einem integrativen Kurs. Separative Angebote können für die einzelnen Teilnehmer und Lebensphasen die geeignete Lernumgebung bieten (vgl. Lindmeier 2000: 16). Insbesondere schwer geistig behinderte Menschen benötigen spezielle Hilfen und Rahmenbedingungen, die in integrativen Kursen derzeit nicht gewährleistet werden können. Gruppenspezifische Interessen und Kursthemen mit starken Bezug auf die Behinderung (z. B. mit Themen: Wie vertrete ich mich selbst) sowie der Erwerb von Kompetenzen (z. B. Mobilität, Unabhängigkeit) sind für integrative Kurse nicht von Bedeutung. An dieser Stelle ist die Durchführung des Kurses im Rahmen des Separations- und Kooperationsmodells durchaus berechtigt und pädagogisch sinnvoll. Entscheidend ist daher der verantwortungsbewusste Umgang mit den separaten, kooperativen und integrativen Bildungsangeboten, die je nach Möglichkeiten und Interessen des einzelnen Teilnehmers zur Verfügung gestellt werden sollten. Es geht daher nicht um die Abschaffung aller separater Angebote sondern um die Stärkung integrativer Erwachsenenbildung als regulative Idee:
„Nicht Integration, sonder Separation bedarf der Begründung." (Lindmeier 2000:16). Michael Galle-Bammes1 (2000: 21) bemerkt zu dem Thema, dass „... die Bildungsbenachteiligung behinderter Menschen noch derart ausgeprägt, dass es zunächst darum gehen sollte, behinderte Menschen an Weiterbildungsangeboten partizipieren zu lassen. Die Maximalforderung nach ausschließlich integrativen Angeboten ist angesichts des vielerorts noch vorhandenen Bildungsnotstandes fehl am Platz und bremst womöglich den flächendeckenden Ausbau des Bildungsangebots für behinderte Menschen...".

Gegenwärtig findet am ehesten die räumliche und funktionale Integration statt, kaum jedoch personale und organisatorische Integration. Die Erwachsenenbildung in Deutschland ist weit davon entfernt der Realisierung des Normalisierungs-prinzips und des Integrationsmodells gerecht zu werden. Kooperationskurse und vor allem integrative Angebote sind in der Bundesrepublik noch rar. Laut Christian Lindmeier (2000: 17) ist die erste Forderung der integrativen Erwachsenenbildung in Bezug auf Menschen mit einer geistigen Behinderung, die nach flächendeckender Gewährleistung von räumlicher und funktionaler Integration. Im Sinne einer normalisierten Erwachsenenbildung sollen Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenpädagogik stattfinden. Lindmeier versteht dies als ersten Schritt von dem aus eine weitergehende inhaltliche Kooperation der Fachleute hin zum integrativen Lernen stattfinden soll. Christian Lindmeier (2000: 205 ff) fordert daher die gesetzlich verankerte Gleichstellung behinderter Erwachsener in den Weiterbildungsgesetzen mit einheitliche gesetzlichen Regelungen und deren Umsetzung. Er betont die Notwendigkeit durch Öffentlichkeitsarbeit und Schnupperangebote Informationen über die integrative Erwachsenenbildung zu verbreiten bzw. Berührungsängste zu verringern. Darüber hinaus ist die Entwicklung geeigneter Materialien für die Bildung geistiger behinderter Erwachsener voranzutreiben sowie eigenständige Qualifizierungskurse für diesen Personenkreis anzubieten. Weiterhin fordert er, dass sich zielgruppenspezifisch Angebote inhaltlich und methodisch stärker an der allgemeinen Erwachsenenpädagogik orientieren sollten. (vgl. Lindmeier 2000: 205 ff)

5 Konzeption eines Kurses für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung

Einleitung

Wie kann nun ein Konzept der Erwachsenenbildung für Menschen mit (schwerer) geistiger Behinderung aussehen? Im Folgenden werden die Planungsdimension sowie die didaktisch-methodischen Überlegungen eines Seminars für Menschen mit geistiger Behinderung skizziert. Die Bildungskonzeption setzt sich inhaltlich mit der didaktischen Vermittlung des Themas „Unsere Stadt" auseinander. Die sorgfältige Vorbereitung einer Bildungsmaßnahme ist für den Lehr-Lernprozess unabdingbar. Horst Siebert (1996: 4) unterscheidet hier drei Dimensionen des didaktischen Planens. In der vorbereitenden Planung werden Lernziele, -inhalte, -materialien, und -methoden im Kontext der Lernzeiten, der Lernorte sowie der Adressaten ausgewählt. Eine zweite Dimension ist die Überlegung hinsichtlich möglicher Alternativen und Varianten in Hinblick auf die Vorkenntnisse, Lernstile, Heterogenität sowie Größe der Teilnehmergruppe. Weiterhin muss sich der Lehrende insbesondere bei Menschen mit eine geistigen Behinderung mental auf Überraschungen, d. h. auf unerwartete Zwischenfragen und Situationen, die dem eigenen Konzept widersprechen, einstellen.

5.1 Leitprinzipien nach Georg Theunissen

Volker Carroll (2000: 303) betont, dass auch Menschen mit geistiger Behinderung als erwachsene Persönlichkeiten mit ihren individuellen ausgeprägten Erfahrungen, Bedürfnissen und Wünschen anerkannt und geschätzt werden müssen, nur dann kann die Bildungsarbeit gelingen. Die nachstehenden handlungsbestimmenden Leitprinzipien nach Georg Theunissen (2003: 65 ff) bilden die Arbeitsbasis für das folgende Planungskonzept:

  1. Erwachsenen- und altersgemäße Ansprache
  2. Vertrauensvolle, partnerschaftliche und kooperative Arbeitsweise in der alle Teilnehmer gleichberechtigte Partner sind
  3. Freiwilligkeit, Wahlmöglichkeit, Selbst- und Mitbestimmung
  4. Subjektzentrierung und IndividualisierungGanzheitlich-integratives Prinzip
  5. Lebensnähe und handelndes Lernen
  6. Zeitliche Kontinuität und Regelmäßigkeit
  7. Prinzip der Entwicklungsmäßigkeitdas Lern- und neuropsychologische Prinzip (Berücksichtigung von speziellen Lernsituationen)

5.2 Makrodidaktische Handlungsebene

Generell beinhaltet die makrodidaktische Handlungsebene die Angebots- und Programmplanung. Zunächst wird an dieser Stelle auf die makrodidaktischen Aspekte und Voraussetzungen in Bezug auf das Planungskonzept eingegangen. Es wird das didaktische Prinzip der Zielgruppenorientierung darlegt sowie die Inhalte und die Zielsetzung des Kurses benannt und formuliert. Weiterhin werden die institutionellen Rahmenbedingungen, Teilnehmervoraussetzungen und Anforderungen an die Kursleitung betrachtet.

Zielgruppenorientierung und Teilnehmermotivation

Laut Horst Siebert (1996: 97) ist Zielgruppenorientierung ein didaktisches Prinzip. Die Zielgruppenarbeit bezieht sich dabei auf die didaktische Planung, so dass eine Bestimmung der Zielgruppe notwendig ist, um Lernziele und -inhalte zu planen sowie die Erwartung und Motivation der Teilnehmer abzuschätzen. Die Zielgruppenorientierung ermöglicht eine zielgruppenadäquate Programm-gestaltung.

Grundlegend ist die o. g. Bildungsveranstaltung beschränkt auf erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung (ab 18 Jahren) die in der Stadt leben, in welcher der Kurs angeboten wird. Teilnehmen können sowohl Personen aus Wohneinrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung sowie Personen die im häuslichen Umfeld wohnen. Das Angebot richtet sich insbesondere an bildungsungewohnte Teilnehmer, auch mehrfach behinderte Menschen können teilnehmen.

Die Vorraussetzung für die Teilnahme am Kurs ist u. a. das persönliche Interesse am Thema. Bezüglich der Motivation der Teilnehmer sind die Freiwilligkeit sowie das persönliche Interesse der Teilnehmer an dem Thema von entscheidender Bedeutung für die Planung des Seminars. Klaus Holzkamp (1993: 191 ff) spricht hier auch von einer expansiven Lernbegründung. Das heißt, dass das Lernen auf eine individuelle Erweiterung von Wissen und Lebensqualität abzielt. In diesem Fall ist anzunehmen, dass die Motivation der Teilnehmer durch die Wissenserweiterung im Bereich „Die Stadt ..." begründet ist. Klaus Holzkamp stellt den Lernenden mit seinen Gründen für das Lernen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Standpunkt des Einzelnen ist hierbei von entscheidender Bedeutung und bietet dem Lehrenden die Möglichkeit an den Interessen der Teilnehmer anzuknüpfen.

5.2.1 Zielsetzungen und Inhalte des Kurses

Der Leitgedanke dieses Bildungskonzeptes stellt in Anlehnung an Wolfgang Klafki die Emanzipation des einzelnen Individuums dar. Die übergeordnete Zielsetzung des Kurses „Unsere Stadt" ist die Erweiterung der Teilhabe der Menschen mit geistiger Behinderung am gesellschaftlichen Leben, sowie der Ausbau ihrer Selbstbefähigung und somit ihrer Selbstständigkeit. Die Teilnehmer sollen darin unterstützt werden, ihre Bedürfnisse nach Autonomie und sozialer Zugehörigkeit zu erfüllen. Weiterhin geht es um den Erwerb neuer Erkenntnisse und Kompetenzen. Inhaltliche Lernziele sind zum einen die Orientierung und das Kennen lernen ausgewählter Orte in der Stadt sowie der Wissenserwerb zu dem Ort in dem die Teilnehmer leben. Da sich das Angebot auch an bildungsungewohnte Teilnehmer richtet, ist ein weiteres Teilziel des Bildungsangebotes der Abbau von Hemmschwellen und der Erwerb von Fähig-keiten bezüglich der weiteren Teilnahme an Kursen der Erwachsenenbildung.

Hinsichtlich der Inhalte des Kurses stehen Aspekte wie die Umweltorientierung und -bewältigung, Stadterkundung, Kennen lernen der Infrastruktur der Stadt, wie z. B öffentliche Gebäude und Einrichtungen, das Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und die Sicherheit im Straßenverkehr im Fokus. Die Kursreihe beginnt mit einer Einführungsveranstaltung, anschließend werden bedeutende öffentliche Einrichtungen besucht, die den Teilnehmern auch im Alltag begegnen. Als Abschlusskurs erfolgt eine intensive Reflexions- und Wiederholungsphase.

5.2.2 Institutionelle Rahmenbedingungen

Die dargestellte erwachsenenpädagogische Veranstaltung wird im Rahmen einer Volkshochschule einer beliebigen deutschen Großstadt angeboten. Das didaktische Handlungsfeld ist demnach eine Institution der allgemeinen Erwachsenenpädagogik. Teile der Kurse finden in den Räumlichkeiten der Volkshochschule statt, so dass hier neben der funktionalen Integration auch die räumliche Integration stattfindet.

Die Finanzierung des Kurses läuft auf der einen Seite durch Eigeneinnahmen der Volkshochschule, wie z. B. Teilnehmergebühren. Darüber hinaus erhält die Volkshochschule öffentliche Fördergelder durch die Kommunen und Länder. Die Mehrkosten durch den erhöhten Betreuungsbedarf (z. B. zwei Kursleiter) werden über Spenden finanziert.

5.2.3 Teilnehmervorrausetzungen und Ankündigung

Aus didaktischen Gründen ist der Kurs für maximal acht Teilnehmer ausgelegt. Die Teilnehmer melden sich bis zu vier Wochen im Voraus mittels eines Anmeldebogens für den Kurs an. Grundsätzlich ist eine Teilnahme an allen Kursbausteinen notwendig, da sie aufeinander aufbauen.

Die zukünftigen Teilnehmer werden mittels Flyern und Aushängen in Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie durch Informationsstände bei Stadteilfesten auf die Kursagebote aufmerksam gemacht. Diese Art von Öffentlichkeitsarbeit ist von besonderer Bedeutung, um die geistig behinderten Menschen als aktive Kunden der Erwachsenenbildung zu werben und ihnen eine eigenverantwortliche Entscheidung zur Teilnahme an einem solchen Kurs zu ermöglichen. Es ist notwendig die Kursausschreibung anschaulich zu gestalten und die Ankündigungstexte einfach und deutlich zu formuliert sowie mit Grafiken und Symbolen als Verständigungshilfe zu versehen. Da geistig behinderte Menschen oftmals nicht lesen und schreiben können ist hier die Hilfe durch Eltern bzw. Betreuungspersonal notwendig, um die zukünftigen Teilnehmern bei der Auswahl und Anmeldung zu den Angeboten zu unterstützen. Im Sinne der zielgruppenorientierten Teilnehmergewinnung erfolgt im Vorfeld der Veranstaltungsreihe nach Bedarf auch Beratung zu Möglichkeiten der persönlichen Assistenz und zu begleitende Hilfen (wie z. B. zu Fahrdiensten).

5.2.4 Voraussetzungen und Anforderungen an den Kursleiter

Die hier beschriebene Veranstaltungsreihe wird von einer Diplom-Sozialpädagogin in Zusammenarbeit mit dem Heilerziehungspfleger geplant, ausgestaltet und durchgeführt. Die beiden Kursleiter ergänzen sich durch ihre fachlich-inhaltlichen und pädagogischen Kenntnisse. Zusätzlich werden ehrenamtliche Personen eingesetzt, welche assistierende Funktion haben, z. B. rollstuhlgebundene Menschen zu unterstützen.

Horst Siebert (1996: 10 f) beschreibt im Zusammenhang mit den Voraussetzungen und Anforderungen an den Kursleiter folgende didaktische Kompetenzen:

  • Die didaktische berufsethische Haltung beinhaltet das Interesse für die Teilnehmer, das Engagement für das Thema und die aktive Toleranz für Andersdenkende.
  • Das didaktische Problembewusstsein beinhaltet die Wahrnehmung von Lernschwierigkeiten und der eigenen Anteile daran sowie die Sensibilität für biografische und kulturell bedingte Lernbesonderheiten.
  • Das didaktisches empirisches Wissen ist die Kenntnisse über wichtige Forschungsergebnisse im eigenen Fachgebiet, über Motivation und Sozialisation Erwachsener sowie Kenntnisse bezüglich der Wirksamkeit und der Grenzen der Erwachsenenbildung.
  • Das didaktische Know-how betrifft die Beherrschung von Methoden der Lerndiagnostik und –hilfen sowie der Evaluation.

Neben diesen allgemeinen Kompetenzen ist es bei der hier beschriebenen Zielgruppe laut Georg Theunissen (2003: 66) erforderlich, dass der Lehrende zusätzlich über ein „...hohes Maß an sozialkommunikativer Kompetenz, Einfühlungsvermögen, Geduld, Wertschätzung sowie Offenheit und aktive Teilhabe am Erleben des anderen ..." verfügt.
Der Lehrende muss themenbezogene Sachkompetenz sowie Kenntnisse der modernen Behinderten-pädagogik mitbringen und die neue Form des Assistierens im Sinne des Empowermentansatzes verwirklichen. Demnach ist der Kursleiter Organisator, Berater, Lehrender, Unterstützer und Vertrauensperson in einem und hat zudem die Aufgabe mit den Einrichtungen der Behindertenhilfe und den Eltern zusammenzuarbeiten.

5.3 Mikrodidaktische Handlungsebene

Auf der mikrodidaktischen Planungsebene stellt sich u. a. die Frage nach der Veranstaltungsform, dem didaktischen Prinzip der Teilnehmerorientierung sowie den angewandten Methoden und Lernmaterialien für den Lehr-Lernprozess.

Veranstaltungsform

Diese Bildungsveranstaltung für Menschen mit geistiger Behinderung wird als achtwöchige Kursreihe angeboten, wobei die Kurse aufeinander aufbauen. Eine Veranstaltung besteht aus zwei Unterrichtsstunden, wobei eine Unterrichtsstunde 45 Minuten dauert. Das Bildungsangebot findet wöchentlich zu denselben Zeiten statt, um eine zeitliche Kontinuität zu gewährleisten. Diese Regelmäßigkeit bietet den Teilnehmern eine wichtige Orientierungshilfe.

Hinsichtlich der in Kapitel 4.2 beschriebenen Organisationsformen handelt es ich hier um ein Zielgruppenmodell, da sowohl die Fachkompetenz in Bezug auf die Behinderung der Teilnehmer als auch die der Erwachsenenbildung in der Volkshochschule liegt.

Teilnehmerorientierung

Das didaktische Prinzip der Teilnehmerorientierung betrifft vor allem die Durchführung des Kurses. Die Teilnehmerorientierung verweist auf individuelle Lernprozesse und Lerninteressen, welche erst im Seminarverlauf deutlich werden. Die Zielgruppenorientierung hingegen betrachtet kollektive Grundlagen sowie Lernprozesse und findet somit bereits in der Planungsphase Berücksichtigung. Horst Siebert (1996) versteht unter Teilnehmerorientierung u. a., dass sich die Teilnehmer aktiv in die Bildungsveranstaltung einbringen. Dieses Prinzip soll im Verlauf des Kurses verfolgt werden.

5.3.1 Verlauf und Methodenbegründung für die Veranstaltungsreihe

Im Anschluss wird der Verlauf der Veranstaltungsreihe mit Einleitungs-, Haupt- und Abschlussphase illustriert und die vorstellbaren Methoden begründet.

Einleitungsphasen der Veranstaltungsreihe

Der erste Kurs findet im Sinne einer Orientierungsphase in den Räumen der Volkshochschule statt. Gemäß Georg Theunissen (2003: 89) dient diese Einleitungsphase zur Ermittlung der individuellen und kollektiven Ausgangslage und hat somit diagnostische Funktion. Dazu zählen u. a. das Kennen lernen der Teilnehmer sowie die Einschätzung der individuellen Lernvoraussetzungen (wie z. B. Stärken, Probleme, Lernstrategien, Interessen) und des Gruppenklimas.

Um die in Punkt 5.1.1 erwähnte Annahmen der expansiven Lernbegründung der Teilnehmer (nach Klaus Holzkamp) sowie das erwachsenenpädagogische Leitprinzip der Freiwilligkeit zu überprüfen, ist zu Beginn des ersten Kurses eine Eingangsrunde geplant. In dieser Vorstellungsphase (in Form eines Kennen Lernspiels) sollen sich die Teilnehmer kurz mit ihrem Namen vorstellen und ihre Erwartungen an den Kurs erläutern. Diese Eröffnungsrunde, gibt den Teilnehmer die Möglichkeit sich untereinander kennen zu lernen und ihre Wünsche und Erwartungen an die Veranstaltung zu äußern. Da Menschen mit geistiger Behinderung oftmals Schwierigkeiten haben ihr Bildungsbedürfnis zu artikulieren und sie zudem teilweise von Eltern bzw. Mitarbeitern von Wohneinrichtungen für die Erwachsenenbildungskurse angemeldet werden, erscheint es wichtig die Teilnehmer zu Beginn des Seminars zu ihren Wünschen und Interessen zu befragen. Die verbale Form der Rückversicherung ist jedoch bei schwerst- geistig behinderten Menschen oftmals nicht möglich, so dass das Interesse dieser Teilnehmer aus deren Gestik, Mimik und dem Verhalten zu erschließen ist (vgl. Theunissen 2003: 66 f). Hier wird deutlich in welch hohem Maße dem Lehrenden soziale, emotionale und nonverbale Kompetenz abverlangt werden. Verhaltensbeobachtungen geben weitere grundlegende Informationen zur personen- und gruppenspezifischen Situation.

Zusätzlich ist die Eingangsphase entscheidend beim Aufbau einer vertrauensvollen partnerschaftlichen Beziehung und eines angenehmen angstfreien Lernklimas, welches im Verlauf der Bildungsveranstaltung zu erhalten ist. Jeder Teilnehmer muss als eigenständige erwachsene Persönlichkeit mit seinen Einschränkungen akzeptiert werden, dies beinhaltet u. a. eine erwachsenengemäße Ansprache, Wertschätzung und Ermutigung. Nur so kann die allseitige Entfaltung der Persönlichkeit aller Teilnehmer erreicht werden.

Anschließend erfolgt die Einstimmung auf das Thema der Veranstaltungsreihe. Durch anregende Fragen (z. B. Welche Besonderheiten hat diese Stadt? Wie groß ist die Stadt in der ich lebe? Wo wohne ich jetzt und wo habe ich in der Stadt schon gewohnt? Wo leben die anderen Teilnehmer? Was mag ich an der Stadt bzw. was nicht? Welche Sehenswürdigkeiten gibt es hier? Was würde ich Besuchern in der Stadt zeigen? Wo kann ich andere Menschen treffen?) soll das Interesse der Teilnehmer am Thema hergestellt werden. Darüber hinaus erfahren der Kursleiter und die anderen Teilnehmer etwas über die Lebensgeschichte, die lebensweltliche Situation und die Sichtweise des Einzelnen.

Um Menschen zu emanzipatorischem Handeln hinzuführen bedarf es spezifischer Methoden, damit die Teilnehmer sich Fähigkeiten zur Auseinandersetzung mit der Welt, zu Lebensbewältigung und –Gestaltung aneignen können. Im Sinne der gleichberechtigten Beteiligung an der Gestaltung des Kursverlaufes erfolgt anschließend eine Runde, in der sich jeder Teilnehmer aus zehn Bildkärtchen, welche mit wichtigen alltäglichen Gebäuden (wie z. B. das Hauptpostgebäude, die Feuerwache, das Krankenhaus) bzw. Sehenswürdigkeiten (wie z. B. das Rathaus) der Stadt gestaltet ist, drei Karten auswählt. Die von den gesamten Kursteilnehmern am häufigsten ausgewählten öffentlichen Gebäude werden in den nächsten sechs Veranstaltungen aufgesucht. Es ist besonders wichtig die Beteiligten an der Auswahl der Inhalte, Lernziele und Methoden zu beteiligen. Die beschriebene demokratische Methode trainiert die Auswahl- und Entscheidungsfindung der Teilnehmer. Es handelt sich hierbei um eine Technik, um emanzipatorisches Handeln zu fördern, dies bezeichnet man auch als instrumentelles Handlungsziel. An dieser Stelle werden grundlegende Leitprinzipien der Erwachsenenbildung, wie z. B. Wahlmöglichkeit und Mitbestimmung verwirklicht. Der Prozess des Auswählens kann sich jedoch bei der benannten Zielgruppe als problematisch erweisen, da behinderte Menschen häufig nicht befähigt wurden ihre Wünsch und Lernbedürfnisse zu artikulieren. Die aktive Mitbestimmung und Mitwirkung ist somit schon ein entscheidendes Teilziel der Bildungsveranstaltung. Menschen mit geistiger Behinderung müssen Anregungen erhalten, um Entscheidungen treffen zu können. Der Lernprozess des Auswählens erfolgt in kleinen Schritten und wird ständig ausgeweitet bis ein Entscheidungsprozess allein gesteuert werden kann.

Am Ende der ersten Veranstaltung erfolgt mittels der Sozialform „frontales Lernen" die Besprechung organisatorischer Dinge, wie der Treffpunkt und Anfahrt für die nächste Veranstaltung. Grundsätzlich ist Frontalunterricht zu vermeiden und sollte nur in Situationen in der die gesamte Gruppe angesprochen werden muss angewendet werden. Die Sozialformen Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit ermöglichen dagegen im stärkeren Maße ein Eingehen auf individuelle und gemeinschaftliche Interessen. Als Abschlussrunde soll jeder Teil-nehmer anhand einer Symbolkarte zeigen, wie ihm die Veranstaltung gefallen hat.

Im Sinne des ganzheitlichen Prinzips wird der Mensch als körperliche, seelische und geistige Einheit betrachtet. Die Verknüpfung unterschiedlicher Verfahren und Methoden (wie z.B. körperbezogene, wahrnehmungsfördernde Methoden) werden zu einem Gesamtkonzept integrieren. Durch die starke Teilnehmerorientierung wird die Bereitschaft der Beteiligten geweckt und erhalten. Der Wechsel der Methoden und die Methodenvielfalt gestalten den Lernprozess lebendig. Das Angebot ist thematisch und zeitlich begrenzt und findet an einem besonderen Ort statt. Der Wechsel aus dem Alltag in eine als besonders erlebte Situation kann laut Winfried Mall (1998) auf alle Beteiligten belebend und motivierend wirken.

Hinsichtlich der verbalen Kommunikation ist prinzipiell auf die Verwendung von Fremdwörtern zu verzichten. Kurze, aussagekräftige Sätze und der Gebrauch einer einfachen und klar verständlichen Sprache sind von besonderer Bedeutung bei der Ansprache geistig behinderten Menschen. Jeder abstrakte Begriff sollte grundsätzlich durch alltags- und situationsbezogene Ausdrücke oder Beispiele verdeutlicht werden. Gezielte Instruktionen sollten durch handlungsbegleitende Hinweise (wie Fingerzeigen) unterstützt werden.

5.3.2 Hauptphasen der Veranstaltungsreihe (Besichtigungen)

Jede Einzelveranstaltung hat einen wiederkehrenden festgelegten Ablauf mit integrierten Ritualen. Zunächst treffen alle Teilnehmer am, im vorigen Kurs, vereinbarten Treffpunkt ein. Der Großteil der Teilnehmer wird durch einen Fahrdienst (begleitende Hilfe) befördert. Für Teilnehmer die selbstständig den Treffpunkt erreichen ergibt sich ein beiläufiger Lerneffekt bezüglich der Orientierung in der Stadt. Hier zeigt sich wie durch die Förderung dieser lebenspraktischen Handlungskompetenz (Wie erreiche in den Treffpunkt?) zugleich Gelegenheiten für mehr Autonomie genutzt werden kann.

Nach der kurzen Begrüßung erfolgt die Besichtigung und Führung durch die öffentliche Institution. Die Besichtigungsveranstaltungen haben damit einen hohen Informationsanteil. Die Kursteilnehmer stehen hier im engen Kontakt zu den Mitarbeitern der besuchten Einrichtungen, während dieses Interaktionsprozesses können die Teilnehmer Fragen stellen, so dass der erklärende Mitarbeiter im Dialog mit den Teilnehmern steht. Der Kursleitung kommt an dieser Stelle die Funktion des Vermittlers zu. Das Bildungsangebot setzt an den realen Bedürfnissen und Interessen der Teilnehmer an. Indem im Lernprozess an die lebensgeschichtlichen Erfahrungen und vertraute Sachverhalte anknüpft wird, ist der Lernerfolg für die Teilnehmer als hoch einzustufen. Durch starke Alltagsorientierung der Veranstaltung wird lebensnahes und situationsbezogenes Lernen ermöglicht. Es handelt sich hier für die Teilnehmer um sinnvolles Lernen, mit einem hohen Gebrauchswert.

Notwendig sind im gesamten Lernprozess die besondere Lernsituation und die speziellen Lernbedürfnisse geistig behinderter Menschen im Blick zu haben. Bei allen Veranstaltungen ist ausreichend Zeit einzuplanen und die individuellen Lerntempos der Teilnehmer zu beachten, da ansonsten der Lernprozess nicht erfolgreich sein kann. Ebenso sind Stresssituationen zu vermeiden.

Während der Besichtigungen bekommt wechselnd ein Teilnehmer die Aufgabe, Fotos mit einer Polaroidkamera anzufertigen. Nach der Besichtigung fassen die Teilnehmer das Erlebte noch einmal zusammen. Schwer mehrfach behinderte Teilnehmer, welche sich verbal nicht verständigen können, haben hier die Gelegenheit aus den Fotos, die für sie schönsten Bilder auszuwählen. Sie erhalten dadurch die Möglichkeit ihre Sichtweise auszudrücken. Diese Wiederholungsphase sowie der festgelegte Veranstaltungsablauf erleichtert den Teilnehmern das Verstehen und dient der Sicherung des Neuerlernten. Am Ende einer jeden Veranstaltung erfolgt eine Abschlussrunde. Diese ist notwendig um die Zufriedenheit der Teilnehmer zu erfassen und auf eventuelle Schwierigkeiten und Änderungswünsche der Beteiligten eingehen zu können.

5.3.4 Abschlussphase der Veranstaltungsreihe

Der letzte Kurs findet wieder in den Räumlichkeiten der Volkshochschule statt. Inhaltlich hat die Abschlussveranstaltung die Funktion einer Wiederholungs- und Reflexionsrunde. Zunächst wird in Form eines Blitzlichts jeder Teilnehmer aufgefordert seine Gedanken zu der Veranstaltungsreihe auszudrücken bzw. mittels Symbolkarten zu äußern. Die genannten Aspekte werden an der Tafel festgehalten.

Abschließend wird in Gruppenarbeit eine gemeinsame Collage, zu den in den Besichtigungsveranstaltungen erlebten Sachverhalten, gestaltet. Je nach den individuellen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Vorkenntnissen der Teilnehmer kann mittels unterschiedlicher Materialien (Papier, Stifte, Fingerfarbe etc.) und Methoden (Malen, Schreiben, Zerreißen etc.) die Collage mitgestaltet werden. Die bildorientierte Methode dient der Visualisierung des Gelernten und Erlebten und fördert darüber hinaus soziale Handlungskompetenzen. Um eine größtmögliche Mitbestimmung zu erreichen, müssen die Individuen bei der Auswahl der Materialien immer beteiligt werden. Die Kursleitung hat bei der Materialwahl die Aufgabe die individuellen Stärken und Lerntypen zu beachten. Einerseits soll durch die Lernmaterialien eigenständiges Lernen ermöglicht, andererseits auch der Aufbau neuer Fähigkeiten unterstützt werden. Wichtig ist, die Interessen der Beteiligten zu respektiert und den individuellen Bedürfnissen zu entsprechen. Dabei hier ist die Orientierung an Stärken und nicht an den Defiziten sinnvoll. Bei der Auswahl der Methoden und Inhalte muss darauf geachtet werden die Teilnehmer nicht zu überfordern und allzu komplexe Sachverhalte zu vermeiden. Kleinschrittige, erfolgsbetonte Lernprozesse und die Fokussierung auf das Wesentliche erleichtern das Lernen. Weiterhin erhöhen größere Lernpausen sowie der Wechsel von Spannung und Entspannung die Konzentration der Beteiligten.

Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe erfolgt die Verabschiedung der Teilnehmer und die Einladung zukünftig Veranstaltungen an der Volkshochschule zu besuchen. Hierzu wird bereits anschauliches Informationsmaterial verteilt.

6 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung, Teil 1

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der außerberuflichen Erwachsenenbildung von Menschen mit geistiger Behinderung. Die Frage nach Möglichkeiten und der Umsetzbarkeit von Bildungsangeboten für schwer und oder mehrfach geistig behinderte Menschen wird erörtert und diskutiert.

Als Arbeitsbasis werden in Kapitel 1 Grundbegriffe und –Haltungen der Heil- und Sonderpädagogik erläutert. Das Normalisierungsprinzip ist eines der zentralen Maxime im professionellen und alltäglichen Umgang mit behinderten Menschen. Das grundlegende Anliegen des Normalisierungsprinzips ist es, geistig behinderten Menschen ein so normales Leben wie möglich zu gestalten sowie ihnen nach dem Prinzip der Gleichheit die äquivalenten Rechte wie nicht behinderten Menschen einzuräumen. Das Normalisierungskonzept beschreibt dabei eine Strategie, wie die Integration von Menschen mit geistiger Behinderung auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft bewerkstelligt werden kann. Beim Versuch einer Begriffsklärung für die Erscheinung „geistige Behinderung" zeigt sich der tendenziell defizitorientierte Blick der Gesellschaft auf diesen Personen-kreis. Aus Sicht der nichtbehinderten Menschen wird eine Person, der wir eine geistige Behinderung zuschreiben noch überwiegend als defizitär dargestellt. Er wird in seinem Menschsein als minderbemittelt und begrenzt begriffen. Laut dem neusten Grundverständnis der Weltgesundheitsorganisation hemmt die Gesellschaft die individuelle Entfaltung behinderter Menschen. Im Sinne des Empowermentkonzeptes geht es um die Ermächtigung und Befähigung behinderter Menschen aus der Situation der Entmündigung, der Abhängigkeit und Fremdbestimmung herauszukommen. Die Einzelnen sollen in die Lage versetzt werden, ihre Interessen und Lebensverhältnisse individuell sowie eigenverantwortlich zu bewältigen und zu gestalten. An dieser Stelle hat die Erwachsenenbildung einen entscheidenden Auftrag, bei der Entfaltung der Autonomie und Selbstbestimmung mitzuwirken.

In Kapitel 2 wird zunächst die geschichtliche und aktuelle Entwicklung der Bildungsarbeit mit behinderten Menschen aufgezeigt. Hier wird deutlich, dass sich die Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland erst spät etabliert hat und sie aufgrund entwicklungsgeschichtlicher Aspekte vorrangig an Trägern und Institutionen der Behindertenhilfe angeschlossen ist. Die allgemeine Erwachsenenbildung hat sich lange Zeit von dieser Personengruppe distanziert. Erst im Zuge der Normalisierungsbestrebung und Selbstbestimmungsdebatte in den 80er Jahren hat sie sich erstmals im Sinne der Zielgruppenorientierung diesem Personenkreis geöffnet. Gegenwärtig ist die Realisierung des Normalisierungsprinzips in der allgemeinen Erwachsenen-bildung jedoch noch immer als unzureichend zu beurteilen. Geistig behinderte Menschen werden in der Erwachsenenbildung eher als Randthema betrachtet. Die derzeitige Situation behinderter Menschen in der Weiterbildung spiegelt dabei den allgemeinen gesellschaftlichen Zustand wieder.

Die Herausarbeitung der Prinzipien, Funktionen, Aufgaben, Inhalte und Besonderheiten in Bezug auf die Erwachsenenbildung geistig behinderter Menschen wird in Kapitel 3 anschaulich illustriert. In der Auseinandersetzung mit der Thematik wird deutlich das lebenslanges Lernen und Bildung im Erwachsenenalter in unserer Gesellschaft, auch für Menschen mit Behinderung, immer wichtiger wird. Erwachsenenbildung trägt zur Individualisierung, zum Erwerb von Autonomie, zur schrittweisen Emanzipation aus der Abhängigkeit von anderen Menschen sowie zur Partizipation am gesellschaftlichen Leben und zur sozialen Integration bei. In Bezug auf die bildungs- und sozialpolitische Entwicklung zeigt sich jedoch, dass derzeit eine große Kluft zwischen der Bildungssituation behinderter und nichtbehinderter Menschen besteht.

6.1 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung, Teil 2

Die Leitidee der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung ist der allseitig entfaltete und emanzipierte Menschen, welcher als integriertes Mitglied der Gesellschaft zu einem sinnerfüllten und weitestgehend selbstständigen Leben gelangen soll. Wolfgang Klafki verweist in seiner allgemeinen Bildungskonzeption darauf hin, dass Bildungsfragen auch Gesellschaftsfragen sind und das es darum geht zeittypische Schlüssel-qualifikationen zu erwerben und lebenslange Bildung für alle Menschen in Selbst-bestimmung und Integration zu erreichen. Ausgehend vom Grundrecht „Bildung für alle" ist es notwendig Menschen mit geistiger Behinderung den Zugang zu Kursen der allgemeinen Erwachsenenbildung zu ermöglichen. Besondere Aufmerksamkeit kommt in diesem Kontext der integrativen Erwachsenenbildung nach Christian Lindmeier in Kapitel 4 zu. Er versteht die integrative Bildungsarbeit als Verständigungslernen, d .h. als Austausch unterschiedlicher lebensweltlicher Erfahrungen. Um integrative Erwachsenenbildung durchzuführen bedarf es zunächst jedoch einer Veränderung, des öffentlichen Bewusstseins und dem Abbau von Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen.

Zudem wird in der Diskussion deutlich, dass die reguläre Erwachsenenbildung derzeit noch sehr häufig die Bedürfnisse und Interesse behinderter Menschen ignoriert. Christian Lindmeier spricht sich daher für die Verankerung der integrativen Idee in der Erwachsenenbildung aus. Er benennt als übergeordnete Aufgabe, die Integration der Erwachsenenbildung selbst, um eine nicht aussondernde Erwachsenenbildung zu schaffen, welche nicht im Einklang mit dem Normalisierungsprinzip steht. Integration zeigt sich dabei auf verschiedenen Ebenen. Der erste Schritt der integrativen Bildung ist gegenwärtig die flächendeckende Verwirklichung von räumliche und funktionale Integration von Erwachsenenbildungsangeboten für Menschen mit Behinderung. Christian Lindmeier betont, dass die Kooperations- und Zielgruppenmodelle separate Angebotsformen ersetzten sollen und letztlich auf die integrative Form im Sinne des Normalisierungsprinzips hinwirken sollen.

Die Teilnahme an integrativen Angeboten scheint jedoch nicht für jede Personengruppe als Maximalforderung geeignet. Insbesondere die Bildungsbenachteiligung schwer geistig behinderte Menschen ist gegenwärtig als sehr hoch einzustufen. Hier stellt das aktuelle Ziel, die grundlegende Partizipation an Erwachsenenbildungsangeboten dar, sei es in Form des Kooperations-, als auch des Zielgruppenmodells. Die Beschreibung der Planungskonzeption in Kapitel 5 verdeutlicht, dass auch die Entwürfe der Kooperations- und des Zielgruppenmodells ihre Berechtigung haben. Insbesondere da diese Kurse die besonderen Lernvoraussetzungen, Lernziele und -möglichkeiten der behinderten Teilnehmer berücksichtigen und hier eine geeignete Lernumgebung geschaffen wird, den insbesondere lebensnahe Erwachsenenbildungen ermöglicht aussichtsreiche Lernprozesse.

Überblickt man zusammenfassend die derzeitige Bildungssituation geistig behinderter Menschen verdichtet sich das Bild, dass die Umsetzung des Zieles der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben, im Erwachsenenbildungsbereich noch am Anfang steht. Jedoch ist es unentbehrlich jedem Menschen das Bürgerrecht auf lebenslange und permanente Weiterbildung zu ermöglichen. Die flächendeckende Angebotsstruktur für Menschen mit geistiger Behinderung ist wünschenswert und erfordert zunächst die Verwirklichung entsprechender Vorraussetzungen und Rahmenbedingungen. Dies kann nur durch eine intensive Kooperation und Vernetzung von allgemeiner Erwachsenenbildung und den Einrichtungen der Behindertenhilfe gelingen.

7 Literatur- und Quellenverzeichnis

Monographien

  • Holzkamp, Klaus (Holzkamp 1993), Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt: Campus Verlag 1993
  • Mühl, Heinz (Mühl 2000), Einführung in die Geistigbehindertenpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer 2000
  • Schöler, Jutta (Hrsg,) (Lindmeier; Ryffel; Skelton 2000), Integrative Erwachsenenbildung für Menschen mit Behinderung. Praxis und Perspektiven im Internationalen Vergleich.von Lindmeier, Bettina; Lindmeier, Christian; Ryffel, Gaby; Skelton, Rick. Berlin: Luchterhand Verlag 2000
  • Schramm, Karlheinz (Schramm 1992), Einführung in die Heilpädagogik. Köln: Stam- Verlag 1992
  • Schuchardt, Erika (Schuchardt 1987), Schritte aufeinander zu. Soziale Integration Behinderter durch Weiterbildung. Zur Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 1987
  • Siebert, Horst (Siebert 1996), Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischer Sicht. Berlin: Luchterhand Verlag 1996
  • Speck, Otto (Speck 1990), Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Erziehung. Ein heilpädagogisches Lehrbuch. München: Ernst Reinhard Verlag 1990, 6. AuflageTheunissen, Georg (Theunissen 2003), Erwachsenenbildung und Behinderung. Impulse für die Arbeit mit Menschen die als Lern- oder geistig behindert gelten. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2003
  • Theunissen, Georg; Plaute, Wolfgang (Theunissen; Plaute 1995), Empowerment und Heilpädagogik. Ein Lehrbuch. Freiburg: Lambertus- Verlag 1995
  • Thimm, Walter (Thimm 1994), Das Normalisierungsprinzip- Eine Einführung. Kleine Schriftenreihe Band 5 Marburg: Lebenshilfe Verlag 1994

Zeitschriftenaufsätze, Aufsätze aus Monographien und dem Internet

  • Carroll, Volker (Carrol 2000), Bildungsangebote für Erwachsene mit geistiger Behinderung. in Jakobs; König; Theunissen: Lebensräume- Lebensperspektiven, Ausgewählte Beiträge zur Situation Erwachsneer mit geistiger Behinderung Butzbach-Griedel: 2000 (2. Auflage), Seite 290-317
  • Deutscher Bildungsrat (Deutscher Bildungsrat 1973) Empfehlungen der Bildungskommission: Zur Pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher. Bonn: 1973
  • Feuser, Georg (Feuser 1998) Lebenslanges Lernen für Menschen mit geistiger Behinderung - Selbstbestimmung und Integration. Vortrag am 11.06.98 anlässlich der bundesweiten Tagung "Dialoge" mit der Thematik "Menschen mit Behinderungen in der Erwachsenenbildung", veranstaltet vom Martinsclub Bremen e. V. im Rahmen der Aktion Grundgesetz vom 11.-13.06.1998 in Bremen
  • Galle-Bammes, Michael (Galle-Bammes 2000), Überlegungen zur integrativen Bildungsarbeit an einer Volkshochschule. in der Zeitschrift Erwachsenenbildung und Behinderung 2/2000 Mittendrin- nicht nur dabei. Erwachsenenbildung und Integration Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e. V., Deutschland (Hrsg.) 2000 (Heft 2), Seite 20-23
  • Lindmeier, Christian (Lindmeier 2000) Integrative Erwachsenenbildung mit Menschen mit Behinderung – Standortbestimmung und Perspektiven. in der Zeitschrift Erwachsenenbildung und Behinderung 2/2000 Mittendrin- nicht nur dabei. Erwachsenenbildung und Integration Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e. V., Deutschland (Hrsg.) 2000 (Heft 2), Seite 7-18
  • Mall, Winfried (Mall 1998) Erwachsenenbildung- Was heißt das für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung? 1998 unveröffentlicht, Winfried-mall.de Stand: 31.01.2007
  • World Health Organisation (WHO 1990), the International Classification of Diseases: Internationalen Klassifikationssystem psychischer Störungen. 1990 in 10.Auflage erschienen Who.int/classifications Stand: 20.01.2007

Gesetzestexte

  • Deutscher Bundestag (Hrsg.) (Deutscher Bundestag 1994), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Druckhaus Coburg 1994

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